Über Visions und Missions

Es gehört zu den Strategie- und Leitbildritualen in Unternehmen, Missions-, Leitbild- oder Visionserklärungen zu verfassen. Das Projektteam begibt sich auf Klausur, alles soll schriftlich niedergelegt werden, die ganze Organisation soll Kraft aus neuen Gedanken schöpfen. Doch bevor die ersten Worte auf dem Flip erscheinen, führt die Gruppe ein sehr wertvolles Gespräch. Exzellente Fragen werden gestellt: Wer sind wir? Was wollen wir erreichen? Warum wollen wir das? Was ist uns dabei besonders wichtig?
Die Interaktion der Gruppen führt zu ungeahnten Erkenntnissen und Einsichten, die Beteiligten spüren einen „Geist“ der Organisation. Jedoch bei dem Versuch, den diesen in Worte zu kleiden wird dem Vorhaben ohne Absicht ein Bärendienst erwiesen. Schriftlich fixierte Gefühle wirken im Vergleich zur leibhaftigen Empfindung reichlich banal.

Beim Verlassen des Strategie – Workshops halten die Beteiligten stolz ein Dokument in der Hand, das allerdings nur sie selbst verstehen. Die dabei waren wissen, was das Papier besagen soll. Problem ist nur, dass die Erklärung von Leuten verstanden werden soll, die nicht an dem Entstehungsprozess beteiligt waren, die nicht das gemeinsame Erlebnis teilen. Erklärungen klingen albern, es gelingt nicht, ihnen etwas Gehaltvolles und Positives abzugewinnen. Dann werden bunte Kärtchen gedruckt, die ihren Lesern ziemlich sinn- und bedeutungslos erscheinen. Liest sich wie hohle Phrasen.

Der Wunsch nach einer Erklärung für dieses Ritual geht zwar in die richtige Richtung. Das Ganze geschieht in der Hoffnung, das Unternehmen durch ein gemeinsames Thema zusammenzuführen. Gesucht: das vereinigende Prinzip im Denken und Handeln.

Der Instinkt ist richtig, die Methode ist megafalsch. Es ist Wunschtraum jedes Managers, alle Mitglieder einer Organisation durch gemeinsamen Zweck und gemeinsame Richtung zu verbinden. Wenn die Organisation einen übergeordneten Zweck verfolgt, wie drückt er sich dann im Alltag aus?

Gibt es ein Grundmuster der getroffenen Entscheidungen, Handlungen und Aktivitäten? Wenn diese überwiegend in einem harmonischen Verhältnis zu dem Zweck oder der Vision des Unternehmens stehen, dann begreifen Menschen dies ohne dass man es ihnen erklären muss. Werden allerdings meist Entscheidungen getroffen, die der übergeordneten Zielsetzung zuwiderlaufen, wird man selbst mit allen vierfarbigen Hochglanzbroschüren der Welt niemanden davon überzeugen, dass die Organisation sich von etwas leiten lässt, das über ihr steht.

Enttäuschte und frustrierte Menschen sehen häufig die Realität in einem Gegensatz zu ihren persönlichen Zielen, Bestrebungen und Werten. Trotz aller schriftlichen „Visions und Missions“ in vielen Unternehmen haben nur wenige eine so klare Vorstellung davon, dass sie ihr Handeln und ihre Entscheidungen wirklich von ihren Werten leiten lassen. „Höherer Zweck“ im echten Wortsinn ist eingebettet in alle Planungen, Entscheidungen und Aktivitäten des Managements. Man spürt ihn im Foyer, wenn man durch die Büros und Flure geht, Gespräche mithört und erlebt, wie Mitarbeiter in Meetings und Projekten zusammen arbeiten.

Geld spielt natürlich eine wichtige Rolle im Leben von Organisationen. Wer aber Geld für ihren eigentlichen Zweck hält, der verschließt sich ihrem tieferen Wesen. Geld ist Resultat einer erfüllten Mission für Kunden und Mitarbeiter, nie das Ziel selbst.

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