Foto von Roger Starnes Sr auf Unsplash
Aufmerksame Leser kennen mich inzwischen in meiner neuen Lebensrolle als Landpomeranze. Neue Umgebungen schulen sämtliche Sinne auf Wahrnehmungen, die an den Eingeborenen einfach vorbeirauschen. Hier meine neueste Episode:
Als ehemaliger Stadtmensch, gehärtet durch Verkehrs- und Industrielärm, stellt man sich das Landleben verklärt vor als romantisches Stillleben: Stille. Waldesruh. Vogelgezwitscher. Vielleicht gelegentlich ein Muuuuuuh.
Doch die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache: Rasenmäher. Motorsägen. Laubbläser. Kreissägen. Flexmaschinen. Traktoren mit quietschenden Hydraulikarmen. Schleifgeräte, die an Zahnarzt und Zahnschmerz zugleich erinnern, um hier nur eine kleine Auswahl vorzustellen. Der gemeine Landbewohner ist als Landschaftsgestalter und Heimwerker mit Gerätschaften aller Art verdammt gut und akustisch vielseitig ausgerüstet.
Der Stadtmensch hört und staunt. Ruhig ist es hier nicht. Nur anders laut.
Statt Sirenen und Hupen wird das Ohr belästigt durch Geknatter, Gebrumm und andere geheimnisvolle mechanische Wellen, laienhaft Schwingungen genannt. Gelegentlich ein metallisches ping, wenn irgendwo ein Schraubenschlüssel den Weg zurück zur Erde findet. All diese geheimnisvollen Schallwellen haben gemeinsam: Frequenzen und Schalldruckpegel, physikalisch gemessen in Hertz und Dezibel verwandeln ländliche Idylle in akustisches Inferno. Jedenfalls gemessen an idyllischen Erwartungen.
Land- und gartenwirtschaftliche Maschinen kennen keine Umleitungen, Heimwerker keine Grenzen. Was bleibt anderes, als das Beste daraus zu machen. Zur Nachahmung empfohlen, schult die Phantasie und macht Spaß: Wir haben ein Spiel erfunden: „Was hören wir da?“
Die Regeln sind einfach:
- Geräusch lokalisieren.
- Geräusch identifizieren.
- Nachbarn zuordnen.
- Fortgeschrittene Stufe: Fabrikat und Baujahr.
Beispiel?
„Das ist keine handelsübliche Heckenschere, das ist Walters alter Benzin-Mäher, der beim Anlassen klingt wie ein erkälteter Elch.“
Oder: „Das Schleifgeräusch? Muss Hildes Schwiegersohn sein, der ist wieder am Carport. Der baut sich da wahrscheinlich ein Tiny House in Einzelteilen zusammen.“
Besonders reizvoll: Dialoge der Maschinen. An bestimmten Tagen fühlt es sich an wie ein mechanischer Balztanz. Links beginnt ein Traktor seine Runde, rechts antwortet der Rasenmäher mit erhobener Drehzahl. Aus dem oberen Nachbargarten meldet sich die Flexmaschine – ein schnarrendes Jaa, ich bin auch noch da!. Und irgendwo hinten brummt ein Poolradio aus den frühen Nullerjahren den Beat dazu.
Manchmal, wenn ich mit einer Tasse Kaffee im Garten stehe, denke ich: Das hier ist kein Dorf. Das ist ein akustisches Ökosystem mit Wartungspflicht.
Ich selbst? Ich bin verhältnismäßig abgerüstet. Kein Laubbläser, kein Rasentraktor. Ich mähe noch mit Muskelkraft – zugegeben mit geringfügiger Unterstützung eines unspektakulären Kleinmotors, der so schön schnurrt.
Und: Ich genieße das Ratespiel. Letzte Woche lag ich mit meiner Vermutung goldrichtig: Makita, Baujahr vor 2010 – kein Staubfangsack. Das gab Bonuspunkte.
Vielleicht liegt genau darin das Wesen der Landpomeranze: Nicht im Schweigen. Sondern im aufmerksamen Zuhören.
Wegen Hüft-OP habe ich auf Mähroboter umgestellt und die beiden unmittelbaren Nachbarn überzeugt. Herrliche Stille! 😊
Wenn der Mäh-Robi so konstuiert ist, dass er keine igel überrollt, ist das ein guter weg. ;))
Junge, Junge, wo biste da nur hingeraten. Dagegen ist das Stadtleben in ruhiger Innenstadtlage ja die reinste Wohlfühloase. Nur ein Bekannter sieht das etwas anders. Er wohnt in unmittelbarer Nähe von Seniorenheim und Probelokal der Stadtmusik. Während die Senioren sich eher an den musikalischen Einlagen erfreuen, oder ihre Hörgeräte rauslegen, geht mein Bekannter zwei Abende in der Woche steil. Dabei könnte er Deinem Beispiel folgen und einfach raten, welche Stücke die Musiker und Musikerinnen da gerade einüben. Ich werd‘s ihm mal vorschlagen. 😉