Anleitung zur Auslösung künstlicher Empörung

 

 

Mal kurz mal eben Folgendes. Nehmen wir mal nur einen kleinen Moment an, in deinem Lebens- und Arbeitsumfeld gibt es ein großes relevantes strukturelles Problem. Das steht als Elefant verkleidet schon sehr lange im Raum, eigentlich kennt es jeder. Es traut sich bloß keiner es anzupacken. Jeder weiß: Echte Lösungen werden uralte Grundmauern erschüttern, es gibt wenig Aussicht auf Sympathiepunkte für den, der sich traut es auszusprechen und anzupacken. Bekannt ist auch, dass – wie das mit Problemen so ist – es nicht auf Dauer ignoriert werden kann, irgendwann ist halt Ende, nichts geht mehr ohne Lösung. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, es dominiert die Hoffnung, dass der Nachfolger statt Dir selbst sich die Finger verbrennt. Soweit das Dilemma.

Wer immer in der Nähe einer Verantwortung steht wird sich Gedanken machen. Es gibt ungefähr 4 Optionen:

  1. Klappe halten. Soll sich doch jemand anderes die Pfoten verbrennen, dazu öffentliche Schelte und Shitstorm auf sich ziehen. Schweigen ist Gold. Es passiert nichts.
  2. Das Thema lässt sich nicht wirklich totschweigen. Baldrian zur Beruhigung für das einfache Volk, wir geben uns vorausschauend, schlagen ein kleines publikumswirksames Maßnahmenpaket vor. Das ist zwar keine echte Lösung, das eigentliche Problem bleibt. Doch das sehen nur Fachkundige, die Masse glaubt hoffnungsvoll an die Wirkung eines Placebos, der Akteur gewinnt Sympathie und Bonuspunkte. Der tut ja wenigstens was. Wirkung: Nach der Scheinlösung ist vor der Scheinlösung, alles wird langsam schlimmer.
  3. Ein bis in alle Einzelheiten durchdachtes und stimmiges Lösungspaket wird präsentiert, das alle denkbaren offenen Fragen beantwortet. Es bleibt eine Kröte, doch jeder weiß, woran er ist. Es gibt Gewinner und Verlierer, jeder kann sich seine Chancen und Risiken ausrechnen. Alles liegt transparent auf dem Tisch, keine Fragen bleiben offen. Wer dies so entscheidet muss damit rechnen, dass sein Vorschlag nicht als mehr als Gesamtpaket diskutiert und wahrgenommen wird. Alle werden irgendein Detail finden, hinter dem sich ein Fehler oder eine andere Einschätzung verbirgt, die Diskussion über den Vorschlag wird sich im Kleinklein der Experten, der Miesmacher oder derjenigen verlieren, die das Problem nicht sehen oder aus Gründen (siehe oben) nicht sehen wollen. Erfolgswahrscheinlichkeit: sehr gering.
  4. Bildlich gesprochen: Ich nehme einen großen Stein und werfe ihn ins Wasser, dass es hohe Wellen schlägt. Ich nenne das Problem beim Namen, mache Vorschläge, die mögliche Richtungen aufzeigen, wo es sich vielleicht lohnt nach Lösungen zu suchen. Details spare ich mit Absicht aus, um die Debatte auf das Grundsätzliche zu lenken. Mir ist klar, dass es noch viele Fallstricke, sumpfiges Gelände und Untiefen gibt, viele Details, die noch geklärt werden müssen. Nur nicht jetzt. Alles der Reihe nach, anfangen ist wichtig, wir haben schließlich ein echtes Problem. Was ich will: Die Mauer des Schweigens durchbrechen, in einer offenen Debatte über eben dieses wichtige Thema alle gesellschaftlichen Gruppen auffordern, sich zu positionieren, statt Scheinlösungen echte Lösungswege zu debattieren, Details und Schwachstellen zu ergänzen oder zu beseitigen. Niemand soll sagen, es wäre verantwortungslos weiter geschwiegen worden. Mir ist klar, dass es nicht nur Befürworter geben wird, doch es wird ein Problem gelöst, dass für alle bedeutsam ist. Ja, wie schon gesagt: Es wird Gewinner und Verlierer geben, doch das Gesamtwohl steht im Vordergrund. Erfolgswahrscheinlichkeit: Achtung, Risiken und Nebenwirkungen. Vorsicht vor Falschspielern und Intriganten!

Für welche Strategie entscheidest Du dich?

Verantwortungsvolle Männer und Frauen mit Weitsicht, über das persönliche Wohl hinausgehenden Perspektiven und ein wenig Lebenserfahrung in Strategie & Taktik  können nur den letztgenanten Weg gehen, oder?

So, und nun denken wir mal einen kleinen Moment über den derzeitigen Wahlkampf nach, beispielsweise über den Vorschlag eines Politikers, die Einnahmeseite unseres sich in struktureller Schieflage befindlichen Sozialversicherungssystems um neue Einnahmekategorien und Berufsgruppen zu erweitern. Der Vorschlag ist streitbar, unfertig, viele Details bleiben offen. Doch es ist mal ein echter Vorschlag, der Elemente einer vorstellbaren Lösung enthält. Das Problem wird endlich mal zum Thema. Was geschieht: Shitstorm, kann wegen fehlender Details nicht diskutiert werden, bewusst verkürzte Darstellung des Vorschlags, interessengeleitete Falschinformationen und persönliche Verunglimpfungen,  …..

Es gibt in diesem Wahlkampf und in unserer Gesellschaft reichlich Probleme und unfertige Lösungsvorschläge, bessere und schlechtere. Darüber mögen wir debattieren. Ich wünsche mir, dass auch andere Vorschläge wie die Mütterrente, wie genau die Wirtschaft angekurbelt werden soll, wie präzise Steuerentlastungen aussehen, wie eine neue Grundsicherung u. v. a. m. gestaltet sein  soll mit der gleichen Lautstärke und den ähnlichen Fragen bedacht werden. Dann würde das gemeine Volk viel besser Wahlkampfgetöse von diskussionswürdigen Vorschlägen unterscheiden und wir sind in der Lage, o. g. Optionen 2 und 4 besser auseinanderhalten. Das wäre ein Zeichen für Weitsicht und Lösungskompetenz. Alles andere ist Propaganda, Verantwortungslosigkeit, Scharlatanerie, fehlende Zukunftsperspektive. Oder?

 

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