Bye bye unions?

Auch die Gewerkschaften feiern Arbeit: die Arbeit der Zukunft auf der LABOR.A am 13. September in Berlin. Intrinsify ist als Programmpartner eingeladen mitzufeiern, ich werde uns dort vertreten und im Cafe Moskau dabei sein. Wir werden eine eigene Session anbieten. Dr. Norbert Kluge, Leiter der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung und Aufsichtsratsmitglied der thyssenkrupp AG, und ich werden auf dem „roten Sofa“ über die Rolle der Gewerkschaften in einer Arbeitswelt der Zukunft sprechen. Das „rote Sofa“, so nenne ich ein Gesprächsformat, in dem Personen wie im Caféhaus ein unterhaltendes Gespräch führen, das zügig das Publikum zum Mitdiskutieren, Ideen entwickeln, Fragen und Position beziehen einläd.

Im Vorfeld habe ich mir Gedanken gemacht und zum Beflügeln einer fruchtbaren Zukunftsdiskussion ein paar Thesen zum Thema „Gewerkschaften“ aufgeschrieben. Diese haben wir zuerst im Blog von intrinsify veröffentlicht, nun ziehe ich hier in meinem Blog nach. Wir freuen uns auf eine interessante Diskussion bei intrinsify, hier und auf der LABOR.A. 

Ist das Konzept der Gewerkschaften überholt?

Gewerkschaften sind wie ein traditionsreiches Unternehmen mit einem im Prinzip guten und soliden Produkt. Seit Marx & Smith haben Gewerkschaften die Rolle, durch Besitzverhältnisse an Produktionsmitteln bedingte Folgen einseitig vorteilhafter Arbeitsbeziehungen zu korrigieren. Faire Behandlung der „Benachteiligten“ ist eine wohlmeinende, zugegeben simplifizierende Kernthese über die Verdienste der Gewerkschaftsbewegung.

Jedes Produkt hat seinen Lebenszyklus, hat seinen von Überalterung bedrohten Kundenstamm, wenn es nicht gelingt Inhalte und Design zeit- und marktgerecht zu gestalten, um neue Varianten zu bereichern, seine Kunden mit neuen ihren „Nerv treffenden“ Ideen zu bereichern. Jeder Unternehmer und jeder Gewerkschafter tut gut daran, sich dieser Herausforderung zu stellen, will er sein Kerngeschäft fortführen, sein Produkt erhalten.

Wir leben heute in einer „Hybridzeit“: alte Probleme sind noch real existierend, alte Instrumente haben mal mehr, mal weniger Berechtigung und Nutzen. Neue Herausforderungen sind häufig noch erst in Konturen erkennbar, auf der Suche nach den Ideen für die Zukunft können wir nicht auf bewährtes Wissen zurückgreifen.

Unternehmerisch denkende Freunde einer Gewerkschaftsidee (siehe oben) brauchen Raum und Gelegenheit über die Niederungen des Tagesgeschäftes hinweg Zukunft zu denken, ohne Schubladen tradierter Freund-Feind-Bilder zu strapazieren, Phantome zu jagen oder Unterstellungen zu huldigen.

Eine Arbeitsgesellschaft der Zukunft braucht eine Interessenvertretung der Erwerbstätigen. Diese wird jedoch nicht mehr auf kollektiver Ebene funktionieren. Hinzukommen müssen Differenzierung, Wahlfreiheit und Erfüllung von Ansprüchen für Selbstorganisation und Selbstbestimmung für Selbstständige, freie Berufe, Arbeitslose und Praktikanten neuer Arbeitsformen, deren Entstehen wir allerorts beobachten. Die Gesellschaft polarisiert und differenziert sich gleichzeitig.

Die klassischen gewerkschaftlichen Tugenden wie Solidarität, Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Toleranz sind moralische Begriffe, sie sind nicht frei von Widersprüchen und Zielkonflikten. Kein System garantiert diese Werte an sich oder tritt sie per se mit Füßen.

Jede noch so gute gemeinte Aktion oder Entscheidung schafft ein neues Problem. Jenseits von gewachsenen Strukturen, sprachlicher Reduktion, tradierten Rollenbildern und all den Widersprüchlichkeiten des Lebens zwingt uns jede Entscheidung in Zielkonflikte, unerwartete und unbeabsichtigte Folgen.

Was dem einen Mitarbeiter, Betrieb, Unternehmen, der einen Branche, Region oder Nation nutzt, kann dem anderen Kollegen, dem anderen Werk oder einem anderen Land zum Nachteil gereichen. Das ist Globalisierung und wachsende Differenzierung live.

Verantwortung kennt keine Grenzen, es geht nicht mehr ohne den Blick für das Große und Ganze. Die Welt besteht vor allem nicht aus rigorosem „entweder – oder“, die Ambiguität des „sowohl – als auch“ ist bedeutsam für gute Entscheidungen. Wo Verantwortung keine Grenzen kennt bewegt sich die vordringliche Interessenvertretung für eigene Mitglieder schneller als man will an den schmalen Grad zu Beschränkung, dem Denken mit Scheuklappen und zur Vertretung von Partikularinteressen.

Vielleicht brauchen wir mehr „Mitbestimmer“ als institutionalisierte Mitbestimmung?

Was wäre, wenn organisierte Erwerbstätige sich mit denen verbünden, für die sie produzieren, mit Kunden und Verbrauchern? Herausforderungen gibt es immer mehr, ihre Komplexität nimmt zu.“

Wie wäre es, wenn Gewerkschaften ihr Fremdeln mit einer sich differenzierenden Welt aufgeben und übergreifende Verantwortung zeigen? Zum Beispiel indem sie einseitig an Kapitalinteressen orientiertes Management zu Risikoübernahme drängen, um Dinge anzutreiben, die im Zeitalter des Wettbewerbs gut sind für uns Konsumenten?

Stellen wir uns mal vor, die Mitarbeiter der deutschen Automobilindustrie gehen auf die Barrikaden wegen der versauten Umwelt und dem unverantwortlichen Umgang mit dem Unternehmensvermögen, gegen Lug und Betrug durch das Management der Autokonzerne? Oder sie machen sich stark für mehr Industrieroboter statt schlechter Arbeit, selbstverständlich in Verbindung mit Bildungs- und Ausbildungsinitiativen, diese Technologien bei uns zu entwickeln, zu produzieren und sie selbst zu bedienen.

Nehmen wir mal an, die Gewerkschaften setzen ihre Kraft für flächendeckendes Breitband-Internet ein, dessen Fehlen unsere Infrastruktur für Unternehmen, Erwerbstätige, Immobilienbesitzer, Konsumenten und den Standort Deutschland ins internationale Abseits führt.

Es bleiben zahlreiche Herausforderungen, damit Arbeit respektvoll behandelt und angemessen bezahlt wird. Das ist leider oft nicht der Fall. Das Problem bleibt ein System, das seinen Weg zur Spitze darin sieht, hier und da ein paar Euro zu sparen, blinden Wachstumsphrasen oder partikularen Arbeitsplatzsicherungsideologien nachzulaufen.

Eine mächtige Organisation, die Erwerbstätigen und Konsumenten Plattform und Organisationsmöglichkeiten für eine Vielfalt von Interessen schafft, könnte in einer Welt industrieller Gleichförmigkeit mit wenig verantwortungsbewusster Differenzierung eine echte Marktlücke sein.

Unsere Gesellschaft braucht einen wichtigen Spieler, dem auch in Zukunft das Hemd nicht näher ist als der Rock. So könnte heute Verantwortung aussehen. Solidarität erst recht.

 

Nachtrag: Im Magazin „Mitbestimmung“ der Hans Böckler Stiftung ist nach der LABOR.A ein Interview mit Norbert Kluge und mir erschienen, dass im Anschluss an unsere Session geführt wurde. Interessierte finden das Interview hier.

Ein Filmdokument unserer LABOR.A – Session findet ihr hier.

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