…. der Muff von 1000 Jahren.

 

ARCHIV – ´Unter den Talaren Muff von 1000 Jahrenª steht am 09.11.1967 auf einem Spruchband, das Studenten beim Eintritt des neuen und des alten Rektors der Universit‰t Hamburg ins Auditorium Maximum halten. 50 Jahre nach der Verˆffentlichung des wohl ber¸hmtesten Spruchs der Studentenbewegung wird in der Hamburger Universit‰t an das Banner ´Unter den Talaren Muff von 1000 Jahrenª erinnert. (zu dpa ´Der ´Muff von 1000 Jahrenª wird 50ª vom 04.11.2017) Foto: dpa +++(c) dpa – Bildfunk+++

Immer diese Erinnerungen. Dabei wollte ich nicht über Fußball oder Politik schreiben. Tu ich auch nicht wirklich, aber das muss jetzt sein. Cordt Schnibben hat bei Facebook einen Beitrag (hier) verfasst, der mehr Lektüre und Aufmerksamkeit verdient hat als seine 1600 likes. Anlass für seine brilliant und zornig geschriebene Replik ist der Beitrag von Alexander Dobrindt zur angeblich überfälligen konservativen Revolution, der bereits im heute-journal von Marietta Slomka (hier) auf sein substanzielles Nichts eingekocht wurde.

Woran erinnert mich das? Cordt Schnibben und ich waren bei der ZEIT, er Edelfeder, ich im Management. Wir kannten uns nicht wirklich, mal abgesehen von einer flüchtigen Begegnung. Ich hab so gut wie alle Artikel von ihm gelesen, er hat eine großartige Feder. Dann erinnere ich mich zeitgeistig an den Slogan „Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren“ verknüpft mit dem Bild eines zum Rektor „geweihten“ Professors in seinem vollem Ornat, bei dem ich wenige Jahre später Finanzwissenschaft studieren durfte, vor dem Studenten ein Spruchband mit eben dieser Parole entrollten. Dann ist da noch dieser Artikel der FAZ über ein Konzert der Rolling Stones (siehe Abbildung, zitiert von Cordt Schnibben) von 1965. Geschrieben von Karl Korn, einst Feuilletonleiter der Nazi-Wochenzeitung „Das Reich“, später Mitbegründer und immerhin bis 1973 Herausgeber der FAZ. Sind das die Inhalte einer konservativen Revolution zurück zur Vor-68er-Zeit?

Diese Einleitung nur, damit auch die Jüngeren ein Bild davon haben, in welchem Deutschland meine Generation (siehe auch hier) aufgewachsen ist. Und warum es diese 68er gegeben hat, die niemals diese geschlossene Bewegung war, wie sie heute dargestellt wird. Zu unterschiedlich waren ihre Ziele und Auffassungen. Doch wir haben die richtigen Fragen an eine kriselnde Gesellschaft gestellt, damit ein Aufbrechen etablierter Strukturen unterstützt, die zu durchbrechen längst überfällig war. Die Antworten auf unsere Fragen waren vielseitig, sie hatten ein sehr unterschiedliches Echo. Ihre Verklärung zu einer einheitlichen Bewegung ist jedoch ein Konstrukt der letzten 50 Jahre. Da fällt by the way auf, dass 2018 genau 50 Jahre von 1968 trennen. Also noch ein Grund für Erinnerung.

2018 ist nicht 1968, kein Anlass für irgendwelche Vergleiche. Doch es ist mal wieder Zeit für gute Fragen, nicht für irgendwelche Revolutionen, schon gar nicht für ein zurück nach vor 68. Doch es drängt sich das Gefühl auf, dass wir neue Fragen stellen müssen. Es scheint, dass wir die Welt in der wir leben immer weniger verstehen, die (scheinbare) Sicherheit einer Dynamik gewichen ist, mit der zu leben wir nicht gelernt haben. Mich erfüllt aktuell mit Zorn, dass wir trotz (oder wegen?) guter Ausgangsbedingungen politische und wirtschaftliche Eliten die Augen davor verschließen, dass wir einen gesellschaftlichen Diskurs über einige sehr grundsätzliche Fragen brauchen. Unsicherheit wird zur Normalität, Menschen suchen nach Orientierungen, kein Zufall, dass weltweit populäre Patentrezepte politischen Zulauf erhalten. Orientierung zurückgewinnen können wir nur, indem wir uns trauen Neues anzufangen. Nicht blind drauflos, Ideen gibt es genug, viele machen es uns vor. Wir müssen uns mal wieder zu fragen trauen. Das wäre eines, was ich von vor 50 Jahren mitgenommen habe.

Was erwarten wir heute von einer Regierung? Eine ordentliche Verwaltung des Landes, wie ich es gestern auf einer Pressekonferenz anläßlich des Abschlusses der Sondierung zur Bildung einer neuen Regierungsbildung vernommen habe? Oder sind mal wieder Weichenstellungen fällig, die neue Orientierungen geben? Wie ist es mit der Zukunftstechnologie Internet? Seit mindestens drei Legislaturperioden diskutieren wir über die notwendige Infrastruktur einer flächendeckenden Netzversorgung. Gewachsen ist bisher nur die Anforderung an die Qualität eines solchen Netzes, vor den Toren der Städte beginnt noch zu oft das Internet-Nirwana.

Passt ein Niedriglohnsektor von fast 25% der Erwerbsbevölkerung zu einem hochentwickelten Industrieland? Die Beschäftigung mag noch so erfreulich hoch sein, aber ist sie zukunftsfähig? Für die betroffenen Menschen und für das Land? Was sind die Zukunftstechnologien, in denen wir die Trends setzen? Wie steht es um Bildung und Ausbildung? Deutschland hat da mal weltweite Standards gesetzt, heute sind wir mit Mittelfeldplätzen in internationalen Studien halbwegs zufrieden.

Was ist mit dem Klimawandel? Wie beschleunigen wir Infrastrukturinvestitionen in Energie, Mobilität, die neue Chancen eröffnen statt immer nur auf alte Arbeitsplätze zu schauen? Natürlich brauchen wir gute Arbeit, aber nicht als Killerargument.

Die Liste ähnlicher Fragen von globaler Bedeutung lässt sich fortsetzen. Statt uns mit ideologischen Scheuklappen in Scheindiskussionen zu verstricken sollten wir lieber mal was anpacken. Auch wenn wir noch nicht alles ganz genau wissen. Die richtigen Wege eröffnen sich beim Gehen, das Warten auf das einzig Richtige lässt uns den Anschluss verlieren.

Wenn es eines aus der Diskussion um und über die 68er zu lernen gibt, dann das: Fragen sind erst mal wichtiger als Antworten! Und zweitens lähmen ideologische Scheindebatten, sie verhindern Orientierung in unübersichtlichen und unsicheren Umfeldern. Das macht mich zornig. Doch die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht. So die Worte von Papst Gregor dem Großen, wiederentdeckt von Georg Schramm. Also los …….

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