Ein Strategiepapier hat mich neulich an eine Geschichte erinnert. Wahrscheinlich ist das wieder einer meiner verqueren mäandernden Gedankensprünge, aber ich erzähle sie doch mal. Wer weiß, wozu das nützlich ist ….
Es war einmal ein Kindergarten. Der befindet sich in einer modernen Großstadt, genauer in einem eher wohlhabenden Stadtquartier. Junge Familien bilden die soziologische Kerngruppe, die meisten Doppelverdiener mit einem Kind. Die jungen Eltern und das Kindergartenpersonal sind engagiert in ihrem Job. Das bedeutet, es kommt häufiger schon mal vor, dass die dynamischen Eltern ihre Brut nicht pünktlich aus dem Kindergarten abholen. Gleichzeitig wird das pflichtbewusste Betreuungspersonal unter keinen Umständen die Pforten des Hortes pünktlich schließen und die Kinder allein oder gar auf der Strasse unbeaufsichtigt zurücklassen. So sammeln sich Überstunden auf den Zeitkonten der Mitarbeiter. Der Überstundenberg wächst unaufhörlich, neue Planstellen zur Entlastung sind nicht zu erwarten. Also suchen die Betreiber des Kindergartens nach einer Idee, wie die Eltern zu mehr Disziplin in ihrem Zeitmanagement und zu mehr Respekt vor dem Kindergartenpersonal gebracht werden können.
Zeit ist Geld sagt ein altes Sprichwort. Naheliegend also die Lösung, zu spätes Abholen mit einem Geldbetrag zu ahnden, den verspätete Eltern quasi als Überstundenentgeld in die Kindergartenkasse einzuzahlen haben. Dabei geht es dem Kindergartenpersonal weniger um die Aufbesserung ihres Portemonnaies, sie wünschen sich vor allem Pünktlichkeit, um ihren persönlichen Interessen zeitig zum Feierabend nachgehen zu können. Die naheliegende Idee: Unpünktlichkeit mit einer angemessenen Geldstrafe belegen, das fördert die Pünktlichkeit und reduziert die Überstunden.
Weit gefehlt. Die Unpünktlichkeit nimmt zu und bedrohliche Ausmaße an. Warum? Ganz logisch, nur halt eine ganz andere Logik. Wo bisher gestresste Mütter und Väter ein schlechtes Gewissen beim Zuspätkommen hatten, wird nun einfach die Poenale bezahlt. Das soziale Gefühl wird zum Marktgut, zu Marktpreisen abgegolten und fertig. Doppelverdiener können sich in einem Marktsystem Unpünktlichkeit locker leisten. So brauchen Eltern sich selbst verspätet nicht mehr zu beeilen: „Wir zahlen ja dafür.“
Fatal, denn der Versuch, das System durch Abschaffung der Strafzahlungen wieder zum unbefriedigenden, aber als kleineres Übel bewerteten Status quo ante zurückzuführen, machen das Ganze noch schlimmer: „Wenn die nicht einmal das Geld für Verspätungen haben wollen, dann hat das wohl keine so große Bedeutung mit der Pünktlichkeit und Elterndisziplin.“
Die Moral von der Geschicht? Zwei Gedanken kreisen in meinem Bauch und Kopf:
Erst mal kommt es immer anders, als man zweitens denkt. Besonders logische Argumente und Ableitungen in Strategiepapieren sind suspekt. Strategien sind nie logisch. Je logischer sie sich lesen, um so misstrauischer sollten wir sein. Entscheidungen werden nicht mit dem Kopf getroffen. Mehr mit dem Bauch, geleitet von Gefühlen und Emotionen. Die sind verwuselt. Jedenfalls nicht logisch. Der Kopf denkt sich nach getroffener Entscheidung ein paar nette Argumente aus, um zu rechtfertigen was der Bauch entschieden hat.
Zweitens spielen soziale Beziehungen und Marktbeziehungen in unserem Leben eine große Rolle. Beide folgen jedoch sehr verschiedenen Gesetzmäßigkeiten. Wo eine klare Trennung möglich ist tut jeder gut daran, den jeweiligen Gesetzen der Situation zu folgen, sich an die Spielregeln zu halten. Wo jedoch soziales Empfinden mit den Gesetzen des Marktes behandelt wird, ist die nicht reparable Zerstörung der sozialen Struktur und der damit verbundenen Gefühle die Folge. Pflicht, Freude oder Leidenschaft werden zum Geschäft, gegenseitiger Respekt vor der Leistung des jeweils anderen wird bezahlte Dienstleistung. Wo die Natur der Sache beide Ebenen vermischt ist größte Behutsamkeit ratsam. Sonst gibt es Scherben.
Das muss ich einfach mal loswerden. Aus Gründen. Aber wahrscheinlich hat das ja für Dich keine Bedeutung. Oder?