Freie Meinung

 

Also mal kurz mal eben Folgendes: Elon Musk, reichster Mann der Welt und Inhaber eines globalen Nachrichtendienstes, veröffentlicht in einer deutschen Zeitung einen Meinungsbeitrag. Er beschimpft deutsche Politiker als Idioten und ruft in dem Beitrag zur Wahl einer rechtsextremen Partei auf, die als verfassungsfeindlich gilt. Und was tun wir? Wir diskutieren, ob das Meinungsfreiheit ist.  Mal ehrlich, haben wir noch alle Tassen im Schrank?

Selbstverständlich darf Herr Musk in Deutschland seine Meinung frei äußern. Ja was denn sonst. Dafür würde ich mich sogar einsetzen, obwohl er mir einen prominenten Platz auf seiner eigenen Plattform wohl verweigern würde. Bloß darum geht es gar nicht. Das ist sogar völliger Unsinn.

Grundrechte sind Abwehrrechte von Bürgern gegen den Staat. So auch der Artikel 5 Absatz 1 unseres großartigen Grundgesetzes. Zu keinem Zeitpunkt hat dieser Staat die Absicht gehabt oder auch nur darüber nachgedacht, den Artikel zu verbieten. Es geht schlicht um die Frage journalistischer Standards, nämlich ob es aus Sicht einer Zeitung geboten erscheint, bestimmten Autoren oder Meinungen eine Plattform zu bieten. Niemand muss so etwas veröffentlichen, man darf es, man kann es aber auch lassen. Verpflichtungen gibt es keine. Die Kritik an dem Artikel oder an seiner Veröffentlichung hat also rein gar nichts mit Einschränkungen der freien Meinungsäußerung zu tun. Leider muss man es als Erfolg der rechtspopulistischen Propaganda sehen, dass eine offensichtliche Wahlwerbung für eine möglicherweise verfassungsfeindliche Partei unter dem Rubrum „Meinungsfreiheit“ debattiert wird. Es ist schlicht eine Verdrehung von Fakten und der Geschichte, wenn mit der lächerlichen Behauptung „hier nichts mehr sagen zu dürfen“ Dinge behauptet werden, die sich dieses unser Land nach 1945 und mit dem Grundgesetz als Schutzschild zur politischen Aufgabe gemacht hatte, nie wieder gesagt werden zu lassen. Das sollte uns stören. Diese Wahlwerbung für Neonazis ist ein journalistisches Problem, die Reaktionen darauf ein gesellschaftliches. Medien dürfen solche Beiträge veröffentlichen, doch wir dürfen das nicht so stehen lassen. Kritik an dieser Veröffentlichung verletzt nicht die „Meinungsfreiheit“, sie richtet sich gegen deren Inhalte und die Standards derjenigen, die ihr ein breites Publikum verschaffen.

Inhalte und Standards sind nach meiner Auffassung auf das Schärfste zu kritisieren. Warum einem Multimilliardär mit eigenem Nachrichtendienst redaktionellen Raum zur Verfügung stellen, der in seinem eigenen Land mit seinen Meinungsäußerungen weit über das hinausgeht, was hierzulande als ordnungspolitisch erwünscht gelten würde? Es spricht eine Wahlempfehlung für eine Partei aus, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, weil sie mit rechtsextremen Positionen kokettiert und demokratische Grundwerte infrage stellt. Das findet statt in einem Land, in dem er kein Mandat oder irgendeine öffentliche Rolle spiel. Es gibt keinen Grund, weshalb seine Meinung unbedingt Gehör finden muss, sie ist weder originell noch unterdrückt oder benachteiligt. Der reichste Mann der Welt veröffentlicht mit Unterstützung eines Teils der deutschen Presse einen Wahlaufruf für Rechtsextreme. Mehr ist nicht. Aber das reicht mir.

Wir sollten wachsam sein, welche Plattformen wir unterstützen – ob durch das Lesen ihrer Inhalte oder den Kauf ihrer Produkte. Unsere Entscheidungen tragen zur Definition dessen bei, was wir als Gesellschaft tolerieren. Aus anderen Kontexten wissen wir über politische Ambitionen der Verleger der betreffenden Nachrichtenkanäle und ihre Einflussnahme mittels Weisungen auf ihre Redaktionen. Ich habe viele Jahre in verantwortlicher Position in Medienunternehmen gearbeitet, Pressefreiheit und redaktionelle Unabhängigkeit sind mir aus dem Tagesgeschäft bekannte, hohe Werte. In deren Interesse und wegen der Verletzung bedeutender und üblicher journalistischer Standards kann ich von Publikationen des bekannten Medienunternehmens nur abraten. Im Interesse der Meinungsfreiheit darf es sie geben, man muss sie aber nicht lesen. In gleicher Weise ist Tesla eine Bereicherung für den Automobilmarkt. Aber es besteht keine Verpflichtung, einen zu fahren.

 

 

 

 

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