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Gedanken nach einem Kinoabend mit „Amrum“
Es sind nicht immer die lauten Filme, die bleiben. Manchmal sind es gerade die leisen, die Bilder, die nur angedeutet sind, die Sätze, die nicht ausgesprochen werden – und doch lange nachhallen. Amrum ist so ein Film. Die Insel Amrum, einer meiner persönlichen „Seelenorte“, ist Namensgeber des Films und Ort des Geschehens.
Er erzählt von einem Jungen in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Ein Heranwachsender, umgeben von Angst, Ideologie, Zerfall. Und dennoch getragen von einem leisen, aber entschlossenen inneren Kompass: seiner kranken Mutter ein Stück Weißbrot mit Butter und Honig zu bringen. Mehr nicht. Und doch alles.
Der Film zeigt keine Helden und keine großen Gesten. Er zeigt Menschen, wie sie sind, in ihrer Not, ihrem Scheitern, ihrer Liebe, ihrer Wut. Die Mutter ist überfordert mit der neuen Lebenssituation. Sie verweigert aus herzlos ideologisiertem Fanatismus die Annahme des Geschenks ihres Sohnes. Der kleine Bruder, der das beiseite gestellte Brot einfach isst, er hat Hunger, ein Honigbrot ist eine unwiderstehliche Versuchung. Mittendrin dieser Junge. Kein Held im klassischen Sinn. Aber einer, der tut, was er für richtig hält
Ich habe mich beim Zuschauen oft gefragt: Was treibt uns an, wenn um uns alles ins Wanken gerät? Wer wären wir in solchen Zeiten? Wie viel Moral bleibt, wenn alles andere verschwindet?
Eine Szene hat mich besonders bewegt: Der Junge gerät im Watt durch die hereinbrechende Flut in tödliche Gefahr. Er wird später gefragt, ob er Angst vor der See habe. Diese Frage gibt er scheinbar selbstsicher an einen weisen alten Mann weiter, einem der mit den Gezeiten lebt, mit der Natur verbunden ist. Der Junge fragt ihn, mit gespielter Stärke und Überzeugung: „Du hast doch auch keine Angst vor der See, oder?“
Seine überraschende Antwort: „Doch.“ Eine so einfache wie tiefgründige Antwort. Angst ist nicht Schwäche. Sie ist Achtung. Respekt. Bewusstsein für Größe und Unverfügbarkeit. In einer Welt, die gerne auf Kontrolle und Stärke setzt, wirkt diese Antwort wie ein stilles Korrektiv. Ein leiser Appell an unsere Demut gegenüber Kräften, die größer sind als wir.
Der Film spricht nicht nur vom Krieg, dieser wird kaum in Bildern sichtbar. Er erzählt vom Abschied alter Weltbilder, von innerem Widerstand, vom Mut, eigene Wege zu gehen – auch wenn sie klein erscheinen. Und vielleicht gerade deshalb so bedeutsam sind.
Besonders berührt hat mich das Geschenk am Ende: Eine Ausgabe von Moby Dick, die der Junge seinem Freund überlässt. Eine Geschichte über das Jagen und das Gejagtwerden, über Obsession und Ohnmacht – und über Freundschaft. In dieser Geste steckt alles: der Wunsch nach Verbundenheit, nach Weiterleben, nach Geschichten, die bleiben.
Dass der Film auf Amrum spielt, macht ihn für mich noch dichter. Ich liebe diese Insel. Ihre Weite, ihre Stille, ihre Eigenwilligkeit. Sie ist wie eine zweite Figur im Film – schweigend, aber eindrucksvoll.
Amrum ist kein Film, der laut ruft. Er ist einer, der bleibt.
Und vielleicht braucht es genau das: Geschichten, die nicht erklären, sondern bewegen.

Lieber Martin,
der Film steht noch auf meiner „unbedingt ansehen“ Liste. Fatih Akin trifft mit seinen Filmen bei mir immer den richtigen Nerv, so wird das auch dieses Mal wieder sein, weil alles, was ich über den Film höre und lese mich berührt. Zudem die Lage am bzw. im Wasser, die raue Nordsee, die sich im Film und in den Protagonisten widerzuspiegeln scheint – ich denke es wird Zeit, sich den Film endlich anzusehen. Danke für den Anstupser!
Glück Auf vonne Elke