„Logik ist auf die Dauer unteilbar“, hab ich mal gedacht. Was ich damit meinte, war: Logik triumphiert immer. Das sehe ich heute nicht mehr so. Das ist Quatsch.
Logik beschäftigt sich mit formalen Merkmalen von Worten und Sätzen. Psychische oder soziale Prozessen gehören nicht in ihren Betrachtungsraum. Das macht den Unterschied. Denn so wenig die Landkarte die Landschaft ist oder der Personalausweis die abgebildete Person, die entscheidende Frage ist: Passen unsere Weltbilder, Ideen, Wirklichkeitskonstruktionen? Qualitätskriterium für Landkarten ist nicht ihre Übereinstimmung mit der Landschaft sondern ihre Nützlichkeit, einen bestimmten geographischen Punkt zu erreichen. Deshalb gibt es übrigens sehr unterschiedliche Landkarten für die gleiche Landschaft. Es ist halt ein Unterschied, ob ich mit dem Hubschrauber oder per pedes eine zerklüftete Landschaft durchquere. Landkarten und andere Wirklichkeitskonstruktionen haben das immanente Risiko ihrer Suggestivkraft. Die lässt uns den Unterschied leicht vergessen. Das Leben funktioniert nach anderen Gesetzmäßigkeiten als die klassische Aussagenlogik (dass etwas entweder wahr oder falsch sein muss, oder dass Aussage und ihr Gegenteil nicht gleichzeitig richtig oder falsch sein können.) Ein Leben ohne Widersprüche ist wie eine Karte ohne Landschaft – es führt nirgendwohin.
Zirkularität ist das Prinzip der Lebenslogik. Biologische, psychische und soziale Systeme organisieren sich selbst durch ein hochkomplexes Netzwerk biologischer, psychischer und sozialer Prozesse. Sie sind zirkulär, Selbstbezüglichkeit ist ihr Organisationsprinzip. Sie schaffen sich selbst. Wir verstehen oft nicht, wie genau sie das anstellen. Um das beispielhaft zu verdeutlichen: Wer hat es nicht schon erlebt, dass gute Absichten böse Folgen haben? Oder wir erinnern uns, wie die Einführung eines Pfandsystems für Einwegflaschen erst recht diesem ungewollten System zum Durchbruch verholfen hat. Oder denken wir an soziale Medien: Sie sollten ursprünglich verbinden, doch oft isolieren sie uns in unseren Echokammern. Wer mit Systemen zu tun hat muss damit rechnen, dass (fast) alles passieren kann, auch das Gegenteil. Da gibt es kein Entrinnen, nicht jeder Zirkelschluss ist ein Trugschluss. Hinter jeder Ecke lauern Paradoxien, die uns als Ambiguitäten und Ambivalenzen erscheinen. Wer da mit Logik kommt, ist von allen guten Geistern verlassen.
So sollte die Interpretation des Politbarometers (s. o.) weniger bei den Logikfähigkeiten der Befragten ansetzen. Vielmehr sollten wir uns fragen, ob wir von allen guten Geistern verlassen sind? Im wahren Leben sind Widersprüche unvermeidlich, sie sind sogar nützlich. Es wäre gemeingefährlich, über sie hinweg zu gehen oder sie zu unterdrücken. Noch schlimmer wäre es, unsere Lebensstrukturen an scheinbare Gesetzmäßigkeiten und eindeutige Wahrheiten anzupassen. Ideologie frisst Hirn, ein schlechter Ratgeber also. Paradoxien sollten wir aufmerksam begegnen, das mag helfen, von scheinbaren Gewissheiten, die ja nur Wirklichkeitskonstruktionen sind, auf den Holzweg geführt zu werden. Paradoxien weisen darauf hin, dass ein Erkenntnisproblem auf Gedanken, Ideen und Argumente lauert.
Ich biete mal eine Interpretation dieser Umfrage an: Hier erkennen wir messbare Effekte von Populismus, asymmetrischer russischer Kriegsführung, Medienversagen, Fake-Echokammern, faktenbefreites Grünen-Bashing, …….. . Wo Dubai-Schokolade zum relevanten Thema mutiert, Windräder wegen ihrer Ästhetik abgerissen werden sollen, Jahrzehnte alte Strukturprobleme einer drei Jahre währenden Regierung in die Schule geschoben werden und Parteiwohl vor das Wohl des Landes gestellt wird, da stimmt etwas Grundsätzliches nicht. Darüber sollten wir nachdenken. Die Bereitschaft, Paradoxien als Chance zu sehen und damit das Fundament für eine neue politische Kultur zu legen, wäre ein guter Schritt. Es liegt an uns, den ersten Schritt zu machen.“