Am Rande eines Barcamps fragte mich unlängst der Leiter eines großen Produktionsbetriebes nach einer Idee, wie er seine Mitarbeiter überzeugen könne, doch direkter und offener mit ihm zu kommunizieren. Er will von seinen Kollegen und Mitarbeitern erfahren, was im Betrieb los ist. Missstände kann er nur beseitigen helfen und Verbesserungen voran bringen, wenn er weiß was ambach ist. Er ist doch schließlich einer, mit dem man so reden kann, weder bösartig noch nachtragend oder anderswie seine Stellung in unangenehmer Weise missbrauchend. Stimmt. Ich kenne ihn wirklich als einen integren und vertrauenswürdigen Menschen. Es gibt keinen Grund, ihm verdeckte Absichten vorzuwerfen.
Trotzdem! Ist das das Problem? Ich denke nein. Beschleicht uns bei den Worten „Lass uns da mal ganz offen drüber reden!“ nicht automatisch das klammheimliche Magengefühl, dass jetzt hier alles Mögliche passieren wird, bloß keine offene Kommunikation? Offene Kommunikation ist ein Mythos. Mögen die Absichten auch noch so integer sein, jedoch die Wirklichkeit, sie ist nicht so. Das hat mindestens zwei Gründe.
Worte selektieren. Schon allein deswegen, weil wir viel schneller denken als reden können. Nur ein Bruchteil des Gedachten kann in Worte gekleidet werden, Schreiben gar selektiert noch mehr. Wir kennen das: wirklich wichtige Angelegenheiten besprechen sich besser als dass Noten ausgetauscht werden. Da verschwimmen die entscheidenden Zwischentöne ziemlich schnell in der Banalität des ersten Eindrucks. Wir denken also schneller und mehr als wir reden oder gar schreiben könnten. Ein qualitativer Aspekt kommt hinzu: Gedanken, die unter die Haut gehen, sind eng verknüpft mit Gefühlen. Die schwurbeln in unserem Geist und Körper, können aber nur sehr unzulänglich kommuniziert werden. Gibt es gleiche Emotionen bei Menschen? Wir wissen es nicht, vermutlich nein, oder es gehört ein sehr tiefgehendes Verständnis zweier Menschen dazu. Wir können also niemals offen und vollständig alles das kommunizieren, was uns so bewegt, ganz unabhängig von guten Absichten oder vertrauten Gefühlen.
Den zweiten Grund wird jeder sofort verstehen, der Organisationen und Systeme kennt. Da reden eben nicht zwei Personen miteinander, nennen wir sie Bernd und Britta. Da reden zwei Rollen miteinander, nämlich die Bereichsleiterin Britta mit dem Logistikleiter Bernd. Jede Unterhaltung spiegelt den Kontext, Möglichkeiten, Grenzen, Zielvereinbarungen und Vorgeschichten der beteiligten Rollen wider. Die haben einen sehr großen Einfluß auf das „was“ und „wie“ wir etwas sagen und zum Ausdruck bringen. Ein jeder ist in seinem Sozialsystem trainiert, ist nicht frei in seiner Bewertung des Anderen und dessen, was er da so zu hören bekommt. Das Sozialsystem, in dem die Gesprächspartner sich bewegen, ist eine unsichtbare Hinterbühne, die unbemerkt Einfluß nimmt auf das, was gesagt und verschwiegen wird. Die Personen werden zu Gefangenen ihrer Werteumgebung (auch „Kultur“ genannt), ganz unbemerkt und unbeabsichtigt.
Die Rolle der Kommunikation wird oft überschätzt. Der Appell offen zu kommunizieren verhallt im Nichts, weil anderes plötzlich eine Rolle spielt und die Oberhand gewinnt. Mit diesen eigenen Beschränkungen und denen anderer umzugehen erfordert viel Geschick und ein gutes „Händchen“ bei der Gestaltung der umgebenden Rahmenbedingungen . So kann vielleicht eine Situation geschaffen werden, in der andere tatsächlich sagen, wo es klemmt. Das ist viel wichtiger als an Vertrauen oder gute Absichten zu appellieren.