Nachdenkzettel

Dies ist eine wahre Geschichte aus der Gegenwart, Deutschland 2021. Das „happy end“ gleich zu Beginn: Ich bin PCR negativ. Das ist das persönlich Wichtigste. Doch um unser Land im internationalen Wettbewerb um Zukunft muss man sich wohl in zahlreichen Belangen Sorgen machen. Man hört und liest ja viel darüber, doch wenn man es am eigenen Leibe erfährt, fühlt man sich als aufgeschlossener und zukunftsorientierter Mensch mit der Zeitmaschine in die falsche Richtung rasend. Scheint so, als ob der Diesel-Verbrennungsmotor einer der Leuchttürme des Fortschritts ist, mit dem wir im internationalen Wettbewerb stehen. Doch der Reihe nach:

Es beginnt mit einem Schnelltest in einer der lokalen Teststationen. Ich will es einfach wissen, dass meine ernsthaften Beschränkungen in Sachen Kontaktpflege neben allen negativen Konsequenzen mich wenigstens vor dem Virus bewahrt haben. Anmeldung online, digital, Erfassung meiner persönlichen Daten zur Terminvergabe. Hat prima geklappt. Sieht zeitgemäß aus. Alles schien gut, bloß das Testergebnis war schlecht: positiv.

Das Unerwartete hat mich ganz schön geschockt. Aller wahrscheinlichkeitsrechnungserfahrener Verstand hat es nicht geschafft, böse Bilder zu verdrängen. Ich muss noch erwähnen, dass ein solcher Befund gleichzeitig Phantomsymptome zum Leben erweckt, die das Schlimmste als wahrscheinlich glauben machen. Das macht schon was mit einem, das sollte niemand unterschätzen.

Also freiwillige Quarantäne, die Suche nach einem PCR – Gewissheitstest beginnt. Als erstes das Gesundheitsamt: Müssen Sie zum Arzt, wir können nichts tun. Mehrere Ärzte angerufen: Nirgendwo eine freie Leitung. Anscheinend völlig überlastet. Mehrere Stunden lang. Dann doch ein Testzentrum, das PCR anbietet. Termin noch am gleichen Tag. Persönliche Daten digital erfassen. Parallel erhalte ich das schriftliche Ergebnis des Schnelltests mit Barcode usw., der zum PCR mitzubringen ist. Das Gesundheitsamt meldet sich ein zweites Mal, will mir jetzt doch einen eigenen PCR-Test anbieten. Auf die Frage, warum die Kollegin am Morgen etwas ganz anderes erzählt hat bekomme ich keine Antwort. Das hätte mir 4 Stunden sinnloses Suchen und Telefonieren erspart. So hab ich denn einen Termin, geblieben ist die Frage warum Test und zwangsweiser  Folgetest zweimalige digitale Datenerfassung benötigen und ich den Barcode mit meinen Test- und persönlichen Daten zu Hause ausdrucken und zum zweiten Test mitbringen muss???

Das ist noch nicht alles: Beim zweiten Test bekomme ich nach Überlassung meines ausgedruckten Barcodes einen Zettel und einen Kugelschreiber, um meine persönlichen Daten zu erfassen. Der vollständig gekachelte und für das Kärchern optimierte Raum weist nur einen Stuhl als Mobiliar auf. Ich erhalte den Hinweis: Schreiben Sie an der Wand, aber bitte leserlich. Der wandgeschriebene Waschzettel geht dann zusammen mit meinem Testststäbchen seinen Gang zum Labor.

Das Ergebnis: Gottlob negativ. Das habe ich inzwischen auch schriftlich, per E-Mail. Man glaubt es kaum: mit meinem Namen, falsch geschrieben. Das kann nur jemand von dem an weißer Kachelwand beschriebenen Zettel falsch digital erfasst und abgeschrieben haben. Gut, das wenigstens die Email-Adresse richtig abgeschrieben wurde, sonst würde ich wahrscheinlich jetzt noch Phantomsymptome haben. Es ist aber auch wirklich eine Sauklaue, die ich mir da angewöhnt habe. Die ist ja richtig hinderlich für den ordnungsgemäßen Ablauf behördlicher Strukturen.

Und die Moral von der Geschicht: Es gibt viel zu tun hier in Deutschland. Wir versuchen gegenwärtig mit Strukturen und Arbeitsmitteln der Vergangenheit eine Pandemie zu bekämpfen. Das gelingt offensichtlich nur unzulänglich und mit Opfern, von denen viele vermeidbar gewesen wären. Unabhängig von allen Pandemiesorgen: Mit diesen Strukturen sind wir weit unter Weltniveau und nicht zukunftsfähig. Nur eine kleine Anekdote, ich bin jedoch sicher nur die Spitze des Eisbergs. Wie sagte noch Heinrich Heine? „Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht.“

 

 

Bildnachweis: Sebastian Herrmann auf @unsplash

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