Überzeugungen und Irrtümer – Was uns wirklich trägt

Lukas Igos auf Unsplash

Ein Gedanke zwischen Peter Thiel, Donald Trump, einem alten Treck und uns allen.

Vor ungefähr einer Woche habe ich eine Doku von Klaus Kleber über das System Trump und die Silicon Valley Tech-Konzerne angeschaut. Wer es nicht gesehen hat, meine unbedingte Empfehlung. Da tauchte Peter Thiel auf – Tech-Milliardär, Philosoph im Schatten, Strippenzieher mit Silicon-Valley-Aroma. Schon mal gehört, doch ich wusste so gut wie nichts über ihn. An einer Stelle zitiert Kleber ihn mit einer Frage, die Thiel angeblich Bewerbern stellt –  die mir seither nicht aus dem Kopf geht:

„Was ist das, woran du glaubst – woran niemand sonst glaubt?“

Starke Frage. Mutig. Bedenkenswert. Aber auch entlarvend.

Mir schießt durch den Kopf: Was ist denn Deine Antwort? Die kommt spontan und schnell, genau so sicher wegen des Kontextes rund um diese Doku. Sie ist alles andere als futuristisch:

Ich glaube nicht an die Stärke des Einzelnen.
Ich habe keine Sehnsucht nach starken Führern, nicht nach klaren Linien, keine Lust auf alles kontrolliert im Griff.
Ich bin überzeugt: Wir werden nicht trotz unserer Schwächen überleben – sondern wegen der Stärke unserer Beziehungen.

Das ist meine Ketzerei im Zeitalter der autokratischen Optimierer. Ketzerei wird zur Tugend – in einer Welt, die nicht mehr schönzureden ist. Im Angesicht von Krieg, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Hass und Hetze wäre Optimismus naiv, Blickverweigerung dumm. Positiv denken bei drohender Gefahr ist gefährlich. Hoffnung ist allerdings angebracht, jede Geste nährt sie. Sie ist Ausdruck intellektueller Durchdringung der realen Gefahren vereint mit einem Zukunftsbild und der Suche nach persönlichen Herausforderungen. Pessimismus des Verstandes gepaart mit dem Optimismus des Willens. Fern von optimistischer Blindheit befördert das Erkennen und Entwerfen von Möglichkeiten Hoffnung auch in schwierigen Zeiten.

Mir ist eine Geschichte eingefallen, vermutlich im Zusammenhang mit Amerika, Kalifornien, dem Silicon Valley, drohenden Notlagen und Katastrophen. Gelesen habe ich sie bei Frank Schirrmacher als Aufhänger des Sachbuch-Bestsellers „Minimum“. Es geht um die soziale Überlegenheit von Familien als Sinnbild für soziale Verbundenheit. Es war einmal ein Siedler Treck Mitte des 19 Jahrhunderts auf dem Weg nach Kalifornien. Die Donner Party (benannt nach dem Anführer des Trecks), vom Winter überrascht, eingeschneit in der Sierra Nevada. Die Starken, die Einzelgänger, die Selbstversorger? Viele von ihnen starben. Überlebt haben vor allem: Familien. Menschen in sozialen Verbünden. Nicht, weil sie besser vorbereitet waren. Sondern weil sie verbunden waren. Weil sie teilten, trugen, trösteten und kämpften. Sie waren stark, weil sie nie allein waren. Sie waren in der Not auch Kannibalen, das gehörte in der Dramatik der Situation zu den Mitteln des Überlebens, heute als Beleg für die Abwesenheit moralisierender Heldenverklärung.

Wir stehen heute wieder im Sturm, andere: politische, digitale, klimatische, soziale. Und wieder rufen viele nach Stärke, Führung, und Durchsetzungskraft gegenüber einer vorgeblich „woken“ Gesellschaft:

  • nach Führung, die durchgreift,
  • nach Systemen, die regeln.
  • nach Kontrolle, weil Vertrauen fehlt.

Wir wählen „starke Männer“ – und wundern uns, dass die Welt schwächer wird.
Wir verzichten auf Vielfalt – und nennen es Klarheit.
Wir verwechseln Ordnung mit Orientierung.
Und halten Dominanz für Lösungskompetenz, trivialisieren einfache, scheinbar objektive Ansichten anstatt wirklich zu verstehen. Das macht blind, vor allem gegenüber der eigenen Blindheit.

Die genannte Thiel-Frage erinnert mich an eine andere, die ich selbst oft gestellt habe – in Bewerbungsgesprächen, aber auch in Gesprächen mit mir selbst:
„Im Mittelalter glaubte man, die Erde sei eine Scheibe. Was wäre heute ein ähnlicher Irrtum?“

Meine Antwort heute – aus vollem Herzen und kühlem Kopf: Das sind Irrtümer unserer Zeit:

  • Die Verwechslung von Effizienz mit Sinnhaftigkeit
  • Die Hybris des unbegrenzten Wachstums
  • Die Unfähigkeit dysfunktionale Strukturen zu verändern, statt an vorgeblich unzulänglichen Menschen herumzukorrigieren.
  • Die allmächtige Phantasie der Überlegenheit technischer Systeme gegenüber menschlicher Phantasie und sozialer Verbundenheit
  • Und – besonders eindrucksvoll – der implizite Verlust von Demut gegenüber dem Ganzen

Autokratien überleben manchmal lange. Aber nicht, weil sie stark sind. Sondern weil sie Angst machen. Und Angst ist kein dauerhaft tragfähiges Fundament.

Was bleibt?

Vielleicht das, was schon am Donner Pass half: Kein Plan. Kein Anführer. Keine Lösung. Sondern ein Wir, das aushält. Ein Wir, das teilt. Ein Wir, das trägt – auch wenn nicht jeder durchkommt.

  • Vielleicht ist es Zeit, weniger zu kontrollieren – und mehr zu vertrauen. Anderen, und sich selbst.
  • Weniger nach Führung zu schreien – und mehr zu verbinden. Wie wäre es, weniger Antworten zu geben – und mehr Fragen zu stellen und auszuhalten.
  • Weniger zu entwerfen – und mehr zu entdecken. Sich selbst, andere und anderes.

Howgh!

 

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Elke Schumacher
Elke Schumacher
16 Tage zuvor

Mein Lieber, ein kluger Text, der mir aus der Seele spricht, allein vermag ich es nicht so gut zu formulieren!
Ich hätte meinen Job in GE nicht halb so lange machen können ohne mein großes Netzwerk, ein Geben und Nehmen und ein sich aufeinander verlassen können in schwierigen Zeiten. Glück Auf ist da ein sehr passender Gruß.

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