Die beiden geschätzten Kollegen Dr. Gerhard Wohland und Ralf Hildebrand haben einen Beitrag über „Konstruktive Irritation“ veröffentlicht, der mir sehr gefällt. Da ich den „konstruktiven Irritierer“ zu meinem Markenzeichen (siehe hier) gemacht habe, möchte ich für die Leser meines Blogs deren Gedanken zur Lektüre empfehlen und dokumentieren. Hier der link zum Original.
Haben Sie schon einmal etwas von einer „konstruktiven Irritation“ gehört? Die könnte so etwas wie die kleine Schwester der Krise sein. Es muss ja nicht immer gleich ums Ganze gehen. Was ist damit gemeint?
Intelligenz erzeugt Erwartungen. Irritation entsteht, wenn intelligente Erwartungen enttäuscht werden. Diese Enttäuschung provoziert einen Überschuss an Ideen.
Angenommen, Sie klemmen sich Ihren Projektordner unter den Arm und machen sich auf den Weg ins Board-Meeting. Sie brauchen mehr Mittel. Es lief nicht so wie geplant. Was können Sie da wohl gleich von Ihrer Controllerin erwarten? Natürlich haben auch Sie ihre Vorurteile in vielen Jahren gut gepflegt. Die Dame wird sich Ihre Unterlagen gar nicht groß angesehen haben und nur in das zusammengeschusterte Spreadsheet vertieft sein. Und Ihnen das Projekt zusammenstreichen!
Sie setzen also an und wollen Ihre Arbeit verteidigen. Noch bevor Sie richtig losgelegt haben, sagt sie: „Ja – ich bin die Dokumente durchgegangen – sieht so aus, als ob wir nachschießen müssen. Das ist ok – kein Problem. Erzählen sie uns ´mal bitte genauer von ihren Ideen, wie es weitergehen könnte.“ … Oh!
Das ist eine konstruktive Irritation – Sie identifizieren sich schließlich mit Ihrem Projekt. Es ist Ihres. Deshalb kommen Sie jetzt vor lauter Überraschung mit dem Artikulieren Ihrer Ideen kaum noch hinterher – mentaler Overflow. Ein Überschuss!
Solch eine konstruktive Irritation ist zu unterscheiden von Verwirrung. Verwirrung entsteht durch Überforderung. Sie erzeugt Hilflosigkeit und man macht sich auf die Suche nach Bewährtem. Sicher sind da keine Ideen dabei.
Konstruktive Irritation ist also ein Mittel, die Intelligenz der Beteiligten zu nutzen. Und nicht, diese durch fremdes Wissen zu ersetzen. Irritation nutzt Kompetenz, ohne diese explizieren zu müssen.
Im Kontext hoher Dynamik ist die konstruktive Irritation also ein unumgängliches Werkzeug – das Board könnte die lokal vorhandene Kompetenz des Projektes sonst gar nicht nutzen. Woher sollte die Finanzchefin auch wissen, wie es im Projekt weitergehen könnte. Von der Sache können die Manager keine Ahnung haben.
So gesehen ist eine Irritation eine kleine Krise. Wenn beim Projektleiter im Moment der Frage Angst entstünde, kann die Irritation destruktiv werden und ungute Gefühlswallungen erzeugen. Vielleicht sogar Verzweiflung. Oder sie kann in dem Sinne konstruktiv sein, dass man eben mit Ideen reagiert. Das kann man vorher nicht wissen.
Manchmal hilft eine konstruktive Irritation auch dabei, eine Havarie zu verhindern. Wenn zum Beispiel auf der Jagd nach Einsparungen versucht wird, den dezentralen Alltag zentral zu organisieren. Und die letzte Dezentralisierungswelle schon in Vergessenheit geraten ist. Eine Irritation spart da vielleicht richtig Geld und Nerven: „Hast du schon gemerkt, dass du an der Wirklichkeit vorbeidenkst – dass es nicht um zentral oder dezentral geht? Dass du dich da an etwas vorbeimogelst? Dass du um eine Erkenntnis herum denkst, weil du dir aus welchem Grund auch immer nichts davon versprichst? Oder dir nichts Neues einfallen will?
Irritation ist das Sichtbarmachen, dass das Denken eines anderen und die Wirklichkeit aneinander vorbeilaufen. Wenn das auf Ablehnung stößt, oder man es gar nicht zur Kenntnis nimmt, dann entsteht keine Irritation. Aber wenn jemandem plötzlich schlagartig auffällt. „Mensch, der hat ja recht. Klar, ich denke ja immer dran vorbei, wie bin ich da bloß drauf gekommen!“ – dann ist die Irritation gelungen und konstruktiv.