Es sind ja bald Wahlen. Da wird schon mal öfter über Politik geredet, Meinungen werden ausgetauscht, es wird debattiert. Meinungen sind oft kontrovers. So tragen sie zur Meinungsbildung bei, sehr nützlich das alles, gelebte Demokratie. Nützlicher Nebeneffekt: man wird schlauer, lernt dazu.
Doch in diesen Tagen hinterlassen mich immer häufiger derartige Gespräche erschüttert und ungläubig. Ja, es ist mir bekannt, die Welt ist komplex. Viele Menschen fühlen sich überfordert, immer mehr und differenziertere Fakten und Meinungen aufzunehmen, zu sortieren, auf ihre Plausibilität hin zu checken. Ich habe volles Verständnis dafür, dass nicht alle die gleichen Voraussetzungen an Bildung, Erfahrung, Übung mitbringen, um beim Disput über komplexe Sachverhalte zu bestehen, Zusammenhänge zu erkennen, Bewertungen einzuordnen. Es ist mir völlig klar, dass unter diesen Bedingungen einfache Erklärungen es leichter haben sich zu verbreiten. Doch selbst hochgebildete Menschen mit Hochschulabschluss, Unternehmer, Anwälte, Journalisten, Hochschullehrer leben oft in einer Parallelwelt von Fehlinformationen. Nicht, dass sie eine andere Meinung haben, das ist nicht das Problem Es geht nichts über eine gepflegte Debatte mit für und wider, scharfsinnigen Argumenten, erhellenden Vergleichen, aus dem Leben gegriffenen Beispielen, mit Humor und Satire gespickten Analogien ……. Da leuchten die Augen, es kommt Freude auf.
Es geht darum, dass viele Meinungen (Tendenz steigend) auf komplett falschen Annahmen oder völligem Unwissen beruhen. Dunning & Kruger lassen grüßen.
Beispiel gefällig? Das hier ist von heute: Beklagt werden Stromimporte aus dem europäischen Ausland. Die werden in einen Zusammenhang gestellt mit der Umstellung auf erneuerbare Energien, die Importe sind Merkmal des Scheiterns der Energiewende, der Stilllegung von AKW, der Abhängigkeit von anderen Ländern, usw., den Rest mag sich ein jeder selbst ausmalen. Natürlich wird das Argument eingebettet in eine Fundamentalkritik an der Regierung, besonders bestimmter namentlich verantwortlicher Politiker. Doch was niemand weiß: Wie hoch sind sie denn, diese Importe? Warum wird überhaupt importiert, wo doch eigene Kapazitäten ungenutzt sind? Welche Alternativen gibt es? Wie ist es mit anderen Primärenergien, Kohle, Erdgas, Öl? Importieren wir die nicht? In welchen Größenordnungen? Auf viele dieser Fragen antwortet ein einfaches Schaubild (siehe links). Wenn es gut läuft, ist die Diskussion damit beendet, man wendet sich neuen Themen zu, Erkenntnisgewinn führt zur Regulierung des Meinungsbildes. Wenn es schlecht läuft, das ist leider häufig der Fall, besteht wenig Bereitschaft, die eigene Meinung in Frage zu stellen. Unwissen und Halbwissen verdichten sich zu einem Narrativ, der Bestätigungsirrtum wird stärker als jedes Argument: Menschen verteidigen ihre eigene (falsche) Meinung bis zum letzten Blutstropfen (sorry für die martialische Sprache, doch es kommt einem so vor). Die Kakophonie findet dazu eine Begleitmusik aus Unterstellungen, Diffamierungen, Hass, die im Kanon über die Sache selbst hinaus vor Personen nicht zurückschreckt.
Dabei ist es überhaupt nicht schlimm, all diese Informationen nicht auf dem Silbertablett parat zu haben. Ich habe das auch nicht en Detail gewusst, musste mich genauer informieren. Doch ich habe es getan, weil ich skeptisch geworden bin. Einmal von der Sache her (Import von Energie? Müssen wir nicht (fast) unseren gesamten Bedarf an fossilen Energien importieren?) und zweitens durch die Art der Argumentation der Unwissenden, die aus einer Detailinformation eine politische Generalaussage ableiten. Da stimmt oft was nicht.
Wer kennt den Unterschied zwischen den Kategorien der Erkenntnistheorie Wissen – Glauben – Meinen? Könnte man ja bei Interesse bei Wikipedia nachlesen.
Wir alle tragen Verantwortung für den Zustand unseres Landes. Wir sollten endlich anfangen zu denken und diese Verantwortung im täglichen Allerlei zu übernehmen statt zu diffamieren und überheblich ungeprüft Dinge herumzutratschen, von denen wir keine Ahnung haben. Eine Portion Skepsis ist nützlich. Sonst passiert es uns, dass wir wirklich eine Regierung bekommen, die wir nicht besser verdient haben. Bewahre!