Die gute Führungskraft muss sein: authentisch, empathisch, kraftvoll, flexibel, fürsorglich, ergebnisorientiert, nachhaltig, gerecht, ein Superheld und Leader, werteorientiert undichweißnichtwassonstnoch. Dazu natürlich wertschätzend, gleichzeitig wertschöpfend. Klar! Das versuchen wir jetzt mal alle, auf „drei“ geht’s los! …. Die übertriebene Aufstellung macht es deutlich: das kann so nicht sein. Auch die Hintertür löst das Dilemma nicht wirklich, unzählige Fähigkeiten situativ abrufen zu können. Es bleibt eierlegende Wollmilchsau, die es bekanntlich nicht gibt. Dazu kommt: jede einzelne dieser Anforderungen für sich ist durchaus streitbar, wenn man sie näher unter die Lupe nimmt. Vielleicht mach ich daraus ja eine Serie, beginnen wir mal mit der Wertschätzung.
Klingt gut, duldet keinen Widerspruch, ist trotzdem irreführend am Ziel vorbei. Kein Wertekanon ohne sie, Kultstatus in jeder Wünschdirwas-Kultur, höchste Wertschätzung für die Wertschätzung. Doch leider nur ein Missverständnis, bei dem die Nebenwirkungen den Nutzen übersteigen. Wertschätzung hat seinen Ursprung im Ökonomischen, der Wert einer Ware wird taxiert, es geht um eine Tauschbeziehung, in der einer Sache ein Wert je nach geltenden Maßstäben beigemessen wird. Pferden schaut man dazu ins Maul, Handwerkern auf die Finger, bei Hempels unters Sofa. Wertschätzung geht nur, wo Wert ist, der von jemandem geschätzt wird.
Im praktischen Gebrauch wird Wertschätzung oft gefordert, zum Beispiel in Arbeitsbeziehungen. Ohne Wertschätzung keine Motivation und geringere Arbeitsleistung als mit Wertschätzung. Grob vereinfacht, zugegeben. Das ökonomische Prinzip wird pervertiert, wenn sich rechtfertigen muss, wer auf Gegenleistung für erbrachte Wertschätzung besteht. An dieser Stelle muss man Wertschätzung von guter Kinderstube, Höflichkeit, Takt oder gar Menschenwürde unterscheiden, die zweifellos in unserer Kultur einem jeden per se zustehen. Sie sind die Basis für Gleichberechtigung. Doch Wertschätzung ist im beschriebenen Sinne ein bedingtes Gut, sie ist an Bedingungen geknüpft. Es gibt kein Recht auf Wertschätzung, der Begriff „Wert“ ist moralfrei, er drückt lediglich Präferenzen aus. So ist er denn Maßstab für Dinge, die wir ungleich behandeln. Wegen ihres unterschiedlichen Wertes.
Man hört und liest immer wieder: Organisationen sollen human sein, Führungskräfte sollen Mitarbeiter wertschätzen, um eine wertschätzende Kultur zu etablieren. Setzen wir die Brille der Psychologie auf, liegen hinter den wohlklingenden Worten tiefe Schatten. Keine Frage: Wertschätzung tut jedem gut, niemand wird das Gegenteil als Handlungsmaxime fordern. Doch wer braucht wirklich, ganz wirklich Wertschätzung wie das tägliche Brot? Kinder!!! Erwachsene sollten nicht auf Wertschätzung anderer angewiesen sein. Mit meiner Arbeit zufrieden kann ich sehr leicht sein, wenn ich selbst damit zufrieden bin. „Das hab ich doch prima gemacht!“ Auf dieser Basis ist es großartig, wenn eigene Leistung von anderen bestärkt wird. Völlig anders sieht das aus, wenn man sich von der Wertschätzung anderer abhängig macht. Daraus entsteht eine Eltern-Kind-Dynamik, die in Organisationen nichts zu suchen hat, sogar kontraproduktiv ist. Führungskräfte als Rollenträger der Organisation sind nicht zuständig für das Spenden von Lob und Wertschätzung. Mitarbeiter mit dieser Erwartungshaltung machen sich zum seelischen Kind, das dankbar diese Spende empfängt. Noch grundsätzlicher: es ist niemals gut, seine persönliche Zufriedenheit von dem Urteil anderer Personen abhängig zu machen. Die Abhängigkeit vom Urteil anderer kommt der Aufgabe innerer Freiheit gleich. Selbst vorteilhafte Rückmeldungen beseitigen nicht die Unsicherheit über ihre Aufrichtigkeit. Könnte ja Fake sein, wer weiß? Von dauerhaftem Vorteil wäre, die äußere Abhängigkeit zur Stabilisierung des eigenen Selbstwertes zu reduzieren.
Die Erwartung „Lob für Arbeit“ verfestigt einen Mangel an Selbstwertschätzung. Der Fokus der Arbeit orientiert sich mehr an anderen statt an der Situation oder der Aufgabe selbst, aus Selbststeuerung wird Fremdbestimmtheit. Gut ist, was gefällt, statt was nötig ist. Menschen tun gut daran, äußere Abhängigkeiten klein zu halten, stattdessen ihre Selbstwahrnehmung auf den Wert der eigenen Arbeit zu richten, sich selbst und die eigene Leistung zu mögen. Die Organisation als soziales System ist kein „Wertschätzungsglücksspender“. Egal wie viel Wertschätzung ich dort erfahre, morgen kann sie Konkurs gehen, verkauft werden, mir kann eine Beförderung verweigert werden …… Dann steht man da, gut, wer ein gesundes Selbstwertgefühl hat und sich nicht in Abhängigkeiten befindet, die dies gar nicht leisten können und sollen. Ungünstig auch für die Organisation: Wo selbst Mittelmäßigkeit oder Dummheit dankbar gewürdigt wird, ist Lernen ausgeschlossen. Die Organisation verblödet.
Wir tun gut daran, viele der oben genannten Anforderungen an gute Führung kritisch und mit Distanz zu hinterfragen. Organisationen sind keine Objekte der Moralisierung. Da helfen auch keine Appelle. Alle Lebenserfahrung sagt: Wenn Appelle die ultima Ratio, das letzte Mittel, sind, kann mit den Erwartungen etwas nicht stimmen. Daher an dieser Stelle der Hinweis an alle Führungskräfte, die mit Wertschätzungserwartungen konfrontiert sind, und das ist die Realität: Es gibt keine natürliche Harmonie zwischen Formen des sozialen Zusammenlebens (dazu zählen u. a. Beziehungen, Familien und Organisationen und ihren Brüchen, Zwängen, Rollen- und Interessenkonflikten. Etwas aufgeben oder nicht zu bekommen ist normal, gehört dazu. Konflikte sind Alltag, so gesehen passen „heile Welt Erwartungen“ und die Wirklichkeit einfach nicht zusammen. Das liegt nicht an den Menschen. Die Steuerungslogik von Organisationen folgt einfach anderen Regeln als unsere Wunschbilder, besonders wenn diese auch noch einen Anteil an ungünstiger Entwicklung persönlicher Selbstwahrnehmung enthalten.
Organisationen müssen lernen, dass ein Teil ihrer Mitarbeiter in ungünstigen Mustern lebt, was ihre persönlichen Selbstwertregulatoren angeht. Therapieren können Führungskräfte das nicht, das ist nicht ihre Aufgabe. Klares Management von Erwartungen ist jedoch nützlich, dazu ein aufmerksames Auge für hilfreiche Spielräume und Optionen, die uns der Alltag schenkt.