…….. man muss sie Stück für Stück finden! Ich komme darauf, weil ich mit einer Gruppe von Managern einer Stiftung und „Vertrauensleuten“, die lokal Stipendiaten betreuen, über Auswahlprozesse diskutiert habe. Kontrovers versteht sich. Niveauvoll. Versteht sich auch. Selbstverständlich wollen alle nur das Beste, voller guter Absichten. Unzweifelhaft. Mal wieder eine Gelegenheit, einen Management-Reflex in einem Dilemma konstruktiv irritierend zu beleuchten, also ganz artgerecht für mich.
Jeder, der Personal oder Stipendiaten auswählt will nur die Besten. Die Besten seiner Zielgruppe, seiner Expertise, für seine besonderen Ziele und Aufgaben. Je mehr Spezielles gefordert ist, desto spezieller muss man suchen. Besondere Fähigkeiten, Kenntnisse, Potentiale treten niemals im Schwarm auf, man muss sie Stück für Stück finden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Auswahl viel Aufwand erzeugt. Dazu sind dezentrale lokale Gruppen an Entscheidungen beteiligt. Schließlich müssen die Auserwählten dort integriert und betreut werden. Zu guter Letzt fordert ein sehr an Werten orientiertes Umfeld Gerechtigkeit, Fairness, Vergleichbarkeit, nachvollziehbare Qualitätsstandards des Verfahrens, die im Zweifel revisionsfähig sein sollen. Es könnte ja mal ein abgelehnter Bewerber klagen …….. Wer will das schon? Niemand! Das Dilemma nimmt Konturen an.
Viele Köche verderben den Brei sagt der Volksmund, ich wandle das für diesen Kontext ab: Viele Ziele verwässern das Ergebnis. Ich bin überzeugt: Da werden einfach zu viele nicht gleichzeitig erfüllbare Anforderungen an ein Verfahren gestellt. Ein gutes Auswahlverfahren soll vor allem gute Bewerber auswählen. Adler, Herausragende mit besonderen Fähigkeiten. Die Auswahl der Richtigen ist eine der wichtigsten und einflussreichsten Tätigkeiten von Management, sei es zentral oder dezentral. Im Extremfall genügt es, richtige Personalentscheidungen zu treffen, für gutes Management ist das völlig ausreichend. Ich verbinde das mit der deutlichen Klarstellung: gerechte, faire, vergleichbare, revisionsfähige, qualitätsstandardisierte Auswahlverfahren gibt es nicht, es kann sie gar nicht geben. Sie sind eine Illusion, die bestenfalls im Bereich austauschbarer Fähigkeiten eine gewisse Berechtigung haben. Bei Talenten mit Zukunftspotential eindeutig nein, jedes Nebenziel außer „Wir wollen Adler“ verwässert das Ergebnis. Ein rechtssicheres Verfahren muss garantieren, dass niemand wegen seiner Hautfarbe, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung usw. benachteiligt wird, selbstverständlich. Aber wenn das gesichert ist, dann entscheidet der „Zweckgeber“ nach seinen Kriterien für „Adler“. Der viel-zielige Anspruch an das gesamte Verfahren führt immer zu kompromissbehafteten Entscheidungen, die nicht im Interesse der Primärziele der auswählenden Einrichtung stehen. Personalauswahl wird überfrachtet mit Nebenzielen, die nicht in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen und daher zu nicht optimalen Entscheidungen führen. So liebenswert Ansprüche nach Gerechtigkeit, Fairness usw. sind: sie sind moralisch, nicht konsensfähig (was denn bitte sind Gerechtigkeit und Fairness genau?) und damit einer guten Entscheidung abträglich. Also unter Einhaltung der Prinzipien unserer Grundrechte und des Gleichstellungsgesetzes: Primat der richtigen Personalauswahl entsprechend der Zwecke des Unternehmens oder der jeweiligen Organisation. Das ist die einzige Referenz, die zählt. Sie richtet sich nach außen, an den Markt, und nicht an die Ansprüche irgendeiner internen Interessengruppe.
Nicht zu unterschätzen ist in einer dezentralen Struktur die Integration neuer Leute in lokale Gruppen. Neben dem gesetzten Rahmen der Organisation als Ganzes sind lokale Besonderheiten relevant. Diversität muss sich in lokalen Gliedern ebenso widerspiegeln wie in der gesamten Einrichtung! Junge Menschen sind sich oft Ihrer Talente nicht bewusst. Um so mehr Raum brauchen sie, um auf sich aufmerksam zu machen und erfahrenen Beobachtern die Chance zu ihrer Entdeckung und Förderung zu geben.
Ein weiteres Anliegen ist der Auswahlprozess als solcher. Je weniger konkret beschreibbare und messbaren Kriterien für die Erfüllung einer allgemeinen Anforderung (zum Beispiel „gesellschaftliches Engagement“) vorliegen, um so mehr schränke ich die Auswahl geeigneter Kandidaten durch Normierungen und Standards ein. Beschränkungen sind vor allem schädlich für die auswählende Institution selbst, engen sie doch den Möglichkeitsraum gute Kandidaten zu finden empfindlich ein. Ein guter Mathematiker würde das sicher mathematisch beweisen können, doch auch ohne Formel überzeugt die Logik. Je diverser ein Auswahlkriterium ist, desto diverser muss der Auswahlprozess gestaltet sein, um die genannten „Adler“ tatsächlich finden zu können. Es gibt ohnehin die Neigung, dass Auswählende nach dem Kriterium Ähnlichkeit Personalentscheidungen treffen. „Etwas andere“ Bewerber haben meist wenig Chancen, Einschränkungen im Bewerbungsprozess verstärken diesen Faktor. Es ist das gute Recht jedes Unternehmens und jeder Einrichtung, Kriterien für die Personalauswahl zu definieren und durchzusetzen, selbstverständlich. Diese über formalisierte Prozesse durchsetzen zu wollen bleibt jedoch aussichtslos. Meine persönliche Erfahrung sagt: Gibt der Ausnahme eine Chance. Sie muss natürlich nicht besser sein, doch sie kann Türen zu neuen Einsichten öffnen. Und öfter als wir glauben ist sie tatsächlich die bessere Entscheidung, weil sie unsere eigenen Muster sprengt.
Der größte Hebel für eine diverse und an den Interessen der auswählenden Einrichtung orientierten Personalauswahl sind Entscheidungsgruppen, die selbst divers zusammengesetzt sind, informiert und aufgeklärt, problem- und verantwortungsbewusst mit hoher Identifikation für die Organisation, für die sie tätig sind. Management sollte seine Aktivitäten mehr darauf konzentrieren als auf normierende Verfahrensoptimierungen. Ergebnisse müssen natürlich evaluiert werden und bekannt sein, um den Entscheidungskompass immer wieder zu justieren. Wer Einzigartigkeit sucht, darf nur wenige Vorgaben machen. Da Einzigartigkeit nur unzulänglich beschrieben werden kann, braucht es im Rahmen der Ziele der Organisation Freiräume und diverse Entscheidungsstrukturen. Dazu ein klares Primat für Ziel und Zweck der Organisation, Nebenbedingungen dürfen dieses nicht dominieren. Ich fürchte, dass andere Denk- und Vorgehensmodelle die Organisation auf die Dauer in eine ungewünschte Richtung treiben.
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