Stell Dir mal vor, Du bist Künstler und machst Dich an die Arbeit ein Bild zu gestalten. Oder Du bist Architekt, der ein Haus plant. Wie wirst Du vorgehen? Hat der Künstler eine Idee für seine Gesamtkomposition oder wird er sich viele Pinselstriche ausdenken, die er zu einem Ganzen zusammenfügt? Plant der Architekt einzelne Zimmer, aus denen er dann ein Haus gestaltet? Oder hat er ein Bild des Hauses vor seinen Augen, in denen er nach seinen Ideen passende Zimmer gestaltet? Ist der Wald die Summe der Bäume oder ist er mehr als das?
Diese Analogien gehen mit durch den Kopf, wenn ich 16 Arbeitsgruppen mit Textbausteinen in blau (für Vorschläge der Union) und in rot (für Vorschläge der SPD) in den Nachrichten ansehe, die daraus einen Koaltionsvertrag basteln wollen, der Arbeitsprogramm unserer neuen Regierung werden soll.
Ganz ehrlich: Ich halte dieses Vorgehen für völlig aus der Zeit gefallen. Ja, so hat man es seit gefühlt 200 Jahren gemacht, aber ist das heute noch gut? Beinahe stündlich überrascht uns die Welt mit Zöllen, Kriegen, Ideen, Schnapsideen, Bündnissen, Naturgewalten, Skandalen, Regierungswechseln, Erfindungen, Studien, Sondervermögen, Investitionsbedarfen, also mit allem, was wir uns vorstellen können oder was unsere Vorstellungskraft sprengt. Und wir wollen ernsthaft einen 4-Jahresplan für die Regierungsarbeit machen und dann Punkt für Punkt abarbeiten?
Jeder kann sich leicht vorstellen, dass das so nicht funktionieren kann. Einmal der Überraschungen wegen, die an jedem Tag auf uns lauern und zweitens weil ein guter Koalitionsvertrag mehr ist als die Summe seiner Teile, siehe oben. Ein gedankliches Experiment noch dazu: Ein Auto zerlegt in seine Bestandteile (Motor, Karosse, Getriebe, Elektronik, Fahrwerk, …..) und jedes dieser Teile wäre das Beste, was es auf der Welt gibt, die Summe dieser Teile zusammengebaut wäre fahruntüchtig, es wäre kein Auto in dem von uns verstandenen Sinne. Auf die Interaktion der Elemente untereinander kommt es an, nicht die Einzelteile.
Die Probleme der Welt dulden keine Fehlschläge, wir haben nicht mehr viele Kugeln im Lauf. Auch wenn ich mir eine andere Regierung gewünscht hätte, so wünsche ich dieser viel Erfolg. Zu dem sind wir verdammt! Mein Rat an alle, die etwas Großes gestalten: Kümmert Euch bevorzugt um das Ganze und weniger um seine Teile. Wichtig wäre eine Einigung, nach welchen Kriterien die Sondervermögen verteilt werden. Kriterien, nach denen neue, bisher unbekannte Ideen und Notwendigkeiten in die Planungen eingebaut werden. Und wie man mit Uneinigkeiten, Streitfällen umzugehen gedenkt, damit wir nicht wieder in Gezänk und Stillstand enden. Denn das können wir uns schlicht nicht leisten.