Die unsichtbare Macht informeller Netzwerke

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Was machst Du, wenn Du eine Information brauchst, einen Hinweis, einen guten Tip oder einen freundschaftlichen Rat? Ich durchforste in Gedanken mein informelles Netzwerk nach passenden Menschen meines Vertrauens. Informelle Netzwerke haben den geringsten Energieverbrauch, um Meinung, Information, Hinweise, und Tips zu erhalten, die eben nicht jeder erhält. Oder die auf dem freien Markt (hier: auf anderen als informellen Wegen) überhaupt nicht, in geringerer Qualität oder nur mit großem Energieaufwand zu beschaffen wären. Informelle Netzwerke bestehen hauptsächlich aus guten Beziehungen, sie basieren auf Ansehen, Vertrauen, gemeinsamen Erlebnissen und Erfahrungen. Es dauert lange sie gedeihen zu lassen, sie können sich in Sekunden auflösen, eine Störung kann zu viel sein. Organisationen überleben und gedeihen dank informeller Netzwerke, sie sind essentiell. In „gesunden“ Organisationen schaffen sie mutualistisch symbiotische Beziehungen (gegenseitig befruchtend) mit formellen Strukturen. Sind die Verhältnisse nicht „gesund“ haben formale Strukturen und informelle Netzwerke auch symbiotische Beziehungen, sie beruhen jedoch nicht auf dem Prinzip gegenseitigen Vorteils, können daher konterkarierend oder zerstörerisch sein.

Woran kann man nun informelle Netzwerke erkennen? Wie kann man sie stimulieren? Geht das überhaupt? Beginnen wir mit ein paar grundsätzlicher Erkenntnissen aus der Spieltheorie:

Warum eigentlich werden in Friedenszeiten Freunde zu Feinden? Wie kann es passieren, dass selbst in Kriegszeiten Feinde zu Freunden werden? Ersteres erleben wir in unserer Gesellschaft aus den verschiedensten Motiven. Es gibt reichlich Gründe unsere Gesellschaft als gespalten zu bezeichnen. Wir haben nicht nur die Covid-Epidemie, wir sind mitten drin in einer Epidemie des Misstrauens. Zu Freunden werdende Feinde, das ist nicht so alltäglich, kommt aber vor. Eines der bekanntesten historischen Beispiele sind spontane, gegen ausdrückliche militärische Befehle auf beiden Seiten der Front eingehaltene Feuerpausen während der Ersten Weltkriegs, in denen sich Soldaten beider Seiten zu friedlichen Weihnachtsfeiern zwischen den Linien getroffen haben. Auch wenn es nur von kurzer Dauer war: ein Akt gegenseitigen Vertrauens, da es keine direkten Abstimmungsmöglichkeiten gab. Was wäre nötig, um Bedingungen für mehr Vertrauen und weniger „Egozentriertes Misstrauen“ zu schaffen?

Das sogenannte Gefangenendilemma ist ein Klassiker der Spieltheorie. Zwei Gefangene werden einer gemeinsamen Straftat verdächtigt. Die Höchststrafe beträgt 5 Jahre. Verweigern  beide die Aussage und schweigen reichen die Indizien nur für eine geringe Gefängnisstrafe aus, sagen wir 2 Jahre. Gestehen beide, kommen sie für 4 Jahre hinter Gitter. Die Strategie des Schweigens wird durch die Regel entwertet, dass ein Geständnis mit Belastung des anderen die sofortige Freiheit bedeutet, der Andere erhält die Höchststrafe. Es geht um Kooperation oder Verrat, Egoismus oder Gemeininteresse. Oder darum, unter welchen Bedingungen welches Verhalten nützlicher und damit wahrscheinlicher wird. Die Realität ist:

  • Wir wissen nie so ganz genau, wie der andere reagieren wird.
  • Wir verfügen nicht über vollständige Informationen für unsere Entscheidungen.
  • Entscheidungen basieren oft nicht auf den damit verbundenen Chancen sondern mehr auf Ängsten und Risiken.

Die Antwort auf die Frage „Wie würdest Du entscheiden?“ lautet in der Regel: Kommt ganz drauf an. Die Spieltheorie und das Leben sagen: Das ist klug so. Bei einem Spiel mit mehreren Runden haben sich folgende Alltagsregeln bewährt: Sei nie der Erste, der nicht kooperiert. Reagiere immer wie dein Gegenüber. Das gilt allerdings nur für perfekte Umfeldbedingungen, doch mit Fehlern, Turbulenzen und Irrtümern ist zu rechnen. Eine erweiterte Strategie, die Verzeihen erlaubt (generöse Strategie), erweist sich in langfristigen Modellen mit eingebauten Störungsfaktoren als überlegen. Generös heißt: Einmalige Verlassen des „Vertrauenspfades“ wird nicht sofort mit der Aufkündigung der Kooperation beantwortet, das geschieht erst nach dem zweiten Mal.

Weitere Modifikationen wurden getestet: Die reverse Strategie (Akzeptanz negativen Verhaltens, nachdem man selbst nicht kooperiert hat, quasi als Bestrafung); der böse Killer (kooperiert nur ein einziges Mal zu Beginn); der smarte Killer (regiert nach zwei negativen Zügen des Gegenüber immer negativ); Pawlow-Strategie (lernender Opportunismus, die adaptive Suche nach dem besten Weg, es wird das getan, was in den letzten 2-3 Zügen erfolgreich war). Das Ergebnis: Spielst Du immer mit den gleichen Spielern ist der reziproke Altruismus „Wie Du mir, so ich Dir“ (modifiziert um Akzeptanz einzelner Fehler) die beste Strategie. Das gilt für mehrere Spielrunden, denn diese Strategie stellt sich im Lauf der Zeit als überlegen heraus. In den ersten Spielrunden können die „bösen Killer“ die Oberhand gewinnen, bis sie sich gegenseitig verdrängen. Das geschieht auch in Turnieren, in denen die verschiedenen Charaktere gegeneinander spielen. Das Prinzip „Wie Du mir, so ich Dir“ ist moralische und mathematische Weisheit.

Doch was geschieht, wenn man die Mitspieler nicht kennt und es nur einen einmaligen Versuch gibt? Werden nur wenige Runden gespielt, sind Betrugsstrategien aussichtsreich oder sogar überlegen. Wo man sich nur einmal begegnet ist Vertrauen weniger wichtig als der Vorteil des Augenblicks. Mal ehrlich: Mathematik und Moralphilosophie spielen bei der Entscheidungsfindung keine Rolle, wenn der Mitspieler der Lebenspartner, die beste Freundin, Mutter Theresa, die Ex, der Konkurrent um eine Beförderung oder Donald Trump wären. Was ist, wenn man es mit einem völlig unbekannten Spielpartner zu tun hat?

Die Evolution des Vertrauens braucht:

  • Wiederkehrende Interaktionen. Die Erwartung es auch in Zukunft häufiger mit jemandem zu tun zu haben, steigert die Wahrscheinlichkeit vertrauensvollen Verhaltens. Gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen sind ein Schlüssel für Vertrauen, sie sind Dünger für das Zusammenwachsen informeller Netzwerke. , sie sind der beste Beweis für ein „gutes Gefühl“,
  • WIN-WIN ist möglich. Es muss möglich sein, dass alle Beteiligten nach dem „Spiel“ besser dran sind. Nullsummenspiele (der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen) legen egoistisches Verhalten nahe.
  • Wenige Missverständnisse, sie lassen Vertrauen erodieren. Verzeih-Strategien unterstützen, Irrtümer zu reduzieren.

Ansehen, gemeinsame Werte, Verträge, kulturelle Marker usw. spielen im Leben eine zusätzliche Rolle. Die wichtigste Botschaft ist: Die Art des Spiels bestimmt das Verhalten der Spieler. Die Beobachtung abnehmenden Vertrauens beruht nicht darauf, dass mehr Leute mit schlechterem Charakter auf die Welt kommen, sondern an geltenden Spielregeln in Wirtschaft und Gesellschaft, unserer Umwelt, die der Entwicklung von Vertrauen entgegenwirken. Spielregeln können wir beeinflussen. Vertrauen reduziert Komplexität. In einem von Nicht-Berechenbarkeit geprägten Umfeld schafft Vertrauen einen Rahmen mit größerem Aktionsradius, weil „Vertrauensleute“ als Unsicherheitsfaktor ausgeklammert werden können. Informelle Netzwerke spielen eine Schlüsselrolle, Diversität und Resilienz in Organisationen zu fördern und Entscheidungsfindung wirksam zu unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass wir informellen Netzwerken in Organisationen zu wenig Beachtung schenken. Es gibt sie überall. Wir neigen dazu, ihre Wirksamkeit zu unterschätzen, weil sie für Außenstehende unsichtbar sind. Doch sie funktionieren blitzschnell, viel schneller als klassische Informations- und Entscheidungswege, sie kosten nichts, doch sie zu ignorieren konterkariert leicht so manche Entscheidung der formalen Strukturen.

Dazu gibt es noch mehr zu sagen, doch mehr ist für heute nicht drin. Ich werde die „informellen Netzwerke“ in einem künftigen Beitrag erneut aufgreifen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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