Ein Blick in den Spiegel – Special für beratende Berufe

Kolumbus Aufbruch in eine Neue Welt
Bildquelle: United States Library of Congress’s Prints and Photographs Division under the digital ID: LC-USZ62-105062 www.loc.gov/pictures/item/92501264/

 

Keine Sorge! Ich werde jetzt nicht wie unter (den meisten) Beratern üblich Rezepte im Tausch gegen horrende Tagessätze anbieten. Es liegt auch kein Methodenbestseller in der Schublade, in dem die Verwirrung zwischen Korrelation und Kausalität die Hauptrolle spielt. Prognosen werde ich bestimmt keine abgeben, reine Zeitverschwendung. Bezüglich der Zukunft gibt es keine Argumente, nur Gefühle. Doch hinter denen verbirgt sich manchmal Stoff zum Nachdenken und zum drüber Reden. Außerdem bin ich Wiederholungstäter. Ich habe schon mal mich über die Zeitläufte und Epochen des Daseins in beratenden Berufen ausgelassen (hier). Die Geschichte sagt nichts über die Zukunft. Außer, dass es  unwahrscheinlich ist davon auszugehen, irgendetwas bliebe oder kehre zurück.

Hier kurz zusammengefasst im Zeitraffer eine kleine Geschichte der Beratung aus den letzten 40 Jahren, die ich selbst als Opfer und Täter erleben durfte. Dem Zwecke der Fokussierung auf Trends & Weltbilder folgend bitte ich grobe Verkürzungen und Übertreibungen zu verzeihen. Doch ich weiß, wovon ich rede, das könnt Ihr mir glauben. Da gab es einst die Epoche der Wissensvermittler, in der Wissen die Welt beherrschte und viele Vieles zu lernen hatten. Es folgte das Zeitalter der Innensicht, perfekte Menschen wollten (oder sollten?) wir werden. Beratende Berufe hatten einen Hauch von Guru und Menschengestaltungstherapeut. Dann kamen die Re-Engineerer, die alles neu und stromlinienförmig gestalten wollten. Weg mit der Ausnahme, her mit der Regel, Blaupausen und Best Practices en gros et en detail.

Heute differenziert sich der Wanderzirkus: da sind die Nachfahren der Regel- und Ordnungsfanatiker, voll der Überzeugung unter Zuhilfenahme fälschlicherweise so genannter „künstlicher Intelligenz“ jetzt erst recht die Lage steuern, regeln und beherrschen zu können. Es gibt Romantiker und „prozessuale Agilisten“, die über das „richtige“ Mindset verfügen, die wissen wo der Nordstern am Himmel hängt. Die mit dem „nicht ganz richtigen“ Mindset müssten doch auf dem Weg zum heiligen Gral nur ihren Wegweisern folgen und das erleuchtete Weltbild übernehmen. Diese beiden Gruppen stellen die große Mehrheit in beratenden Berufen, mit ungezählten inneren Differenzierungen. Doch das Grobe passt. Dann gibt es da noch eine kleine Minderheit, zu der auch ich mich zähle. Die halten in komplexen Umgebungen nichts von Konzepten, Zielen und Methoden, die suchen nach den richtigen Leuten, fördern informelle Hierarchien, sehen Beratung mehr als lernendes Mitmachen in neuen Erfahrungsräumen an. Sie helfen Wissen zu demokratisieren, bauen Mannschaften, suchen und fördern überzeugende Interaktionen statt scheinbar heroische Einzelleistungen. Vorbereitung auf Unsicherheit ist ihr Credo statt unsichere Versprechungen zu machen. Deshalb versprechen sie wenig, erstaunlicherweise kommt oft mehr raus als alle erwarten. Sie arbeiten mit Denkwerkzeugen, die Lösungen belassen wo sie hingehören: beim Besitzer eines Problems. Sie streifen das Trikot über, gehen mit aufs Spielfeld und finden ihre Rolle in ihrer Mannschaft. (Zugegeben, mich stört diese undifferenziert klischeehafte Darstellung in gut & schlecht auch. Doch sehen wir die Botschaft, nicht die Details! Natürlich ist die Aufzählung der genannten Prinzipien nicht vollständig oder geordnet, es ist mir halt so eingefallen.)

Nun haben wir mal wieder Krise. Das ist immer dann, wenn Altes nicht mehr so funktioniert und neue Verfahrensweisen noch unbekannt sind. Da sind problemlösende Gefühle wichtiger als der Verstand. Um falschen Schlußfolgerungen vorzubeugen: Verstand ist selbstverständlich nicht überflüssig, im Gegenteil. COVID-19 ist natürlich Krise, das Virus hat vor allem jedoch latent vorhandene Krisen in anderen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft unübersehbar ans Tageslicht befördert. Wissensvorsprung von Beratern? Fehlanzeige, mal abgesehen von einigen Nischenberatern! Erfolgreicher Medieneinsatz? Kunden lesen, schauen, hören nicht mehr nur, da muss schon noch was dazukommen! Klar muss man was wissen, klar muss man gut kommunizieren. Doch das sind nur Landkarten, es ist nicht die Landschaft selbst. Ja, Haltung braucht man, Stil, aber zu allererst mal eine Idee, was denn gehen könnte. Ideen sind handlungsleitende Gefühle. Mein Gefühl sagt mir (doch ich kann mich täuschen!!!): Klassische Formate zur Wissensvermittlung oder Einschwörungsrituale auf irgendein Mindset oder irgendeinen Change machen sich selbst überflüssig. Sie können im Moment nicht stattfinden, ihr Fehlen hat wenig Wirkung auf die Wirtschaft, niemand vermisst sie. Auswirkungen hat es vor allem für die vielen Selbstständigen, die nach dem Hype der Ich AGs und der Selbstständigenunternehmerförderungsprogramme nun gnadenlos durch das Rost fallen: Nicht systemrelevant, daher keine Unterstützungen. Das ist für viele Betroffene existenzbedrohlich, die kämpfen um das tägliche Überleben. Was genau ein jeder Betroffene tun kann muss er selbst herausfinden. Die Folgeerscheinungen der Krise betreffen alle oben genannten Gruppen von beratenden Berufen gleichermaßen, die Krise macht keinen Unterscheid zwischen ihnen, ein jeder kämpft um sein Überleben.

Wer es denn überleben wird braucht für die Zeit danach neue Ideen. Welche denn gut oder weniger gut sind werden wir erst wissen, wenn neue Verhältnisse sich stabilisieren. Darauf gibt es heute keine Antwort. Ebenso wenig darauf, ob irgendeine der Denkrichtungen mehr oder weniger Zulauf oder Anhänger haben wird. Ein Blick in die Vergangenheit sollte uns zeigen, dass Märkte und Verhältnisse sich schnell ändern. Prägend ist die Dynamik der Märkte auch für Menschen in beratenden Berufen. Die Welt verändert sich, wie sie will. Wir nehmen entweder daran teil und üben für etwas Neues, oder eben nicht. Das wird den Unterschied ausmachen, auch wenn es sich anfühlt wie nach einem Tsunami. Gut, wer das einfach akzeptiert und handelt, statt guten alten Zeiten hinterher zu trauern.

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Elke Schumacher
Elke Schumacher
3 Jahre zuvor

Ich stehe auch mit einer gewissen Ratlosigkeit da, sehe aber auch die Chance, die diese Krise birgt. Das bisher richtig gewähnte löst sich auf, Wirtschaftssysteme funktionieren nicht mehr wie gewohnt, weltweit ist nichts mehr wie es war. Aber haben wir in diesem Innehalten nicht auch die Möglichkeit, Werte neu zu bestimmen, Moral und Ethik zu neuer Bedeutung zu verhelfen? Da wird der Fleischbaron von dannen gejagt, von dem auch vorher alle wussten, wie er seine Millionen erwirtschaftet hat. Da wird der Politiker entlarvt, der seine als Beraterhonorare getarnten Schmiergelder ungeachtet der Wertgrundsätze seiner Partei zur Mehrung seines privaten Wohlstands genutzt… Weiterlesen »

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