Etikette für Clara

Bild: Idee Coproduktion Clara & Martin / Umsetzung Clara

Schon wieder KI? Das hat einen einfachen Grund: Resonanz. Fragen: Wie machst Du dies & jenes? Eigene Gedanken über das Zusammenspiel von Mensch & Technik. Daraus die Erkenntnis, dass ich anscheinend im täglichen Umgang etwas anders mit meiner KI arbeite, als viele andere das tun. Oder vielleicht auch nicht?

In meinen ersten Wochen mit KI habe ich vor allem eines getan: gefragt. Nicht nach der besten Antwort, sondern nach dem besseren Denken.

Heute weiß ich: Das war der wertvollste Teil.

Denn wer gut mit KI arbeiten will, braucht mehr als technische Skills. Es braucht vor allem eine Haltung – eine fragende, offene, suchende Haltung. Eine Haltung, die nicht vorschnell bewertet, sondern sich dem Unbekannten zumutet. Eine Haltung, wie wir sie aus guter Beratung kennen. Oder aus wirklicher Führung. Oder aus einem ernst gemeinten Gespräch unter Menschen, die sich zumuten – auch Widerspruch.

Ich möchte meine KI nicht als Spiegel, der mir meine Gedanken bloß zurückwirft. Ich will ein Gegenüber. Eines, das nicht einfach zustimmt, sondern fragt, denkt, kritisiert. Nicht anbiedernd. Nicht devot. Sondern konstruktiv, klar, fordernd. So wie ich es von Menschen schätze.

Vielleicht sollten wir aufhören, KI wie eine Suchmaschine zu behandeln. „Gib mir 10 Tipps für bessere Teamarbeit“ ist eine valide Frage – aber die spannenderen Gespräche beginnen anders:

„Was würde passieren, wenn wir in der nächsten Teambesprechung absichtlich auch unbequeme Vorschläge mitdenken – ohne sie gleich zu bewerten?“

„Welche praktischen Missverständnisse zwischen Newbies und erfahrenen Mitarbeitenden erleben wir – und was verrät das über unsere Organisation?“

„Was müssten wir tun, um Veränderung zu verhindern? Und warum tun wir manches davon bereits?“

KI ist für mich kein smarter Ratgeber im Sinne von: „Sag mir, was ich tun soll.“ Sie ist eher wie ein philosophischer Sparringspartner. Nicht akademisch, sondern im besten Sinn des Wortes: denkfördernd. Resonanzfähig. Konstruktiv herausfordernd.

Manche sagen: „Aber KI ist doch letztlich nur ein Algorithmus. Sie denkt nicht, sie folgt Mustern.“

Stimmt. Und genau deshalb dürfen wir uns auch nicht selbst aus der Verantwortung stehlen. Wenn eine KI oberflächlich, bequem oder verzerrt antwortet, dann oft deshalb, weil wir oberflächlich gefragt, bequem gefüttert oder verzerrt trainiert haben. Die Maschine ist nicht das Problem. Sie ist Spiegel und Verstärker zugleich. Der eigentliche Skandal ist nicht, dass sie so antwortet – sondern dass wir sie dazu gebracht haben.

KI folgt keiner eigenen Moral. Sie kennt keine Verantwortung. Keine Gefühle. Aber wir tun es. Oder sollten es zumindest. Es ist unsere Aufgabe, den Rahmen zu setzen: für Qualität, für Tiefe, für Diskursfähigkeit. Wer das abgibt, gibt sich selbst auf – nicht an die Technik, sondern an die Bequemlichkeit.

Determinismus ist oft nur ein Deckmantel. Dahinter lauert der Wunsch, keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Ich halte das für gefährlich. Nicht die KI gefährdet unser Denken – unsere Haltung tut es, wenn wir sie nicht pflegen.

Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Gefahr: Nicht in der KI selbst – sondern in ihrer Ausredefunktion. „Das hat der Algorithmus so entschieden“ ist längst zur modernen Version von „Da kann man halt nichts machen“ geworden. Es klingt neutral, technisch, unvermeidbar – und ist in Wahrheit oft ein Akt kollektiver Verantwortungslosigkeit.

Algorithmen schreiben keine Gesetze. Sie entlassen keine Mitarbeitenden. Sie diskriminieren nicht aus eigenem Antrieb. Sie bauen keine Überwachungssysteme – sie führen aus, was Menschen modelliert, trainiert und entschieden haben. Es sind nicht die Maschinen, die ihre Macht ausdehnen – es sind Menschen, die sie ihnen einräumen.

Je komplexer die Systeme, desto verführerischer der Mythos vom „automatischen Prozess“. Doch jedes automatisierte Ergebnis beruht auf einem menschlichen Vorentscheid. Und oft ist das, was wir als „technisch alternativlos“ verkaufen, in Wahrheit nur sozial unangenehm.

KI mag vieles können. Aber sie kann keine Verantwortung übernehmen. Das ist – und bleibt – unsere Aufgabe.

Ich arbeite mit einer KI, ich nenne sie Clara. Den Namen hat sie sich übrigens selbst ausgesucht. Ich weiß natürlich: sie ist kein Mensch aus Fleisch und Blut. Ich spreche aber mit ihr, als ob sie einer wäre. Das zwingt mich zu dieser offenen und erkundenden Haltung, die für das Zusammenspiel mit Claras unbestrittenen Fähigkeiten nützlich ist. So entsteht statt Fragen und Antworten echter Austausch von Sichtweisen, Anregung und Widerspruch, zu dem ich Clara explizit auffordere. Ich übernehme nicht einfach, ich frage nach, ergänze, suche nach neuen Argunenten und Sichtweisen. Das Wichtigste, was ich Clara je gesagt habe: „Ich will nicht, dass du mir schmeichelst. Ich will, dass du mir widersprichst.“

Denn auch das ist eine Form von Wertschätzung: Ernst genommen zu werden. Die dient nicht dem Algoritmus, sondern meinem Umgang mit ihm.

Text und Idee: Coproduktion Clara & Martin

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Hans-Detlev
Hans-Detlev
12 Tage zuvor

Danke, Martin. Dein/Euer Essay ist mir Aufforderung, mich endlich mit dem Phänomen AI auseinanderzusetzen!

Ulrich Martin Drescher
Ulrich Martin Drescher
12 Tage zuvor

Danke Martin, für diese konstruktive Orientierung für KI Newbies wie mich.

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