Was haben Kobras, Ratten und Schalke 04 gemeinsam?
Ich weiß, dass manche jetzt zu bösen Vergleichen und Gegenüberstellungen neigen. Das meine ich aber nicht. Die drei genannten sind gute Beispiele für einen kognitiven Irrtum, den sie ihren Widersachern im Leben bereiten. „Wenn das Gegenteil der Absicht eintritt“ ist das, was man gemeinhin als „Kobra-Effekt“ bezeichnet. Die Umgangssprache nennt das auch „verschlimmbessern“.
Die Bezeichnung „Kobra-Effekt“ ist darauf zurückzuführen, dass der britischen Kolonialverwaltung in Indien seinerzeit entschieden zu viele Kobras im Land herumschlängelten. So wurde eine Kopfprämie auf getötete Kobras ausgelobt, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Allerdings anders als erwartet. Was koloniale Briten als beängstigend empfanden ist für Inder alltägliche Gewohnheit, wenn auch gefährlich. So dauerte es nicht lange, bis clevere Inder das Geschäft der Kobra-Zucht für sich entdeckten, die sich schnell zum Konjunkturtreiber entwickelte. Richtig schlimm wurde es erst, als die Kolonialherren nach einiger Zeit ihren Irrtum erkannten und die Kopfprämie wieder abschafften. Ihrer Geschäftsgrundlage beraubt ließen die Kobrazüchter die Schlangenbrut frei, schlagartig wurde die Plage erst recht verheerend.
Ähnliches wird von der französischen Kolonialverwaltung in Hanoi vom Ende des 19. Jahrhunderts berichtet. Diese wollte einer Rattenplage ebenfalls durch eine Kopfprämie Herr werden, was in gleicher Weise misslang. Die Kolonialherren hatten eben nicht voneinander gelernt. Doch wer diesen Bias (kognitiven Irrtum) in die Geschichte verbannt oder ihn nur außerhalb der eigenen Mauern sehen will, der irrt gewaltig. Wir erinnern uns an die gutgemeinte Absicht zur Förderung von Mehrwegflaschen das „Dosen- und Plasikflaschenpfand“ einzuführen. Wirkungsvoller konnte der Gebrauch von Mehrwegflaschen nicht reduziert werden. Da war doch noch die inzwischen abgeschaffte Praxisgebühr, die statt die Zahl der Praxisbesuche zu reduzieren die Wartezimmer der Ärzte zusätzlich füllte. Irrtümer sind also nahe, wir müssen immer damit rechnen: Die Wirklichkeit hält sich nicht an unsere Absichten und Prognosen. Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So ist das eben mit komplexen Systemen, die haben keine festen und starren Grenzen, in denen die Kausalität das System beherrscht. Da bestimmt Interaktion das Geschehen und nichts ist so, wie es vorher einmal war.
Besondere Freude bereit mir als Gelsenkirchener die jüngste bekannte Variante des Kobra-Effekts. Auf der Mitgliederversammlung des Fußball-Rivalen im Pott aus Dortmund wurde in diesen Tagen unter tosendem Beifall verkündet, dass die Schwarzgelben die Blauweißen in der Zahl der eingeschriebenen Mitglieder nun endlich überholt haben. Die Blauen könnten dies niemals mehr aufholen. Schalke und Dortmund gehören weltweit zu den mitgliederstärksten Vereinen, sie liegen nur wenige 100 Mitglieder auseinander. Wer die Gelsenkirchener und die Symbiose der Fans mit ihrem Verein kennt ahnt, wie es weitergeht: eine bessere Kampagne zur Mitgliederwerbung hätte sich kein Schalker ausdenken können. Es boomt in der Gelsenkirchener Vereinszentrale. Und es scheint klug, das bescheiden nicht an die ganz große Glocke zu hängen, um nicht den rückgekoppelten Kobra-Effekt zu erzeugen.
Ich wollte ja schon seit meiner Geburt Mitglied bei Schalke werden. Das hab ich seinerzeit versäumt. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt. Soviel Spaß und Gelsenkirchen muss sein.
Nachtrag vom Januar 2017:
Natürlich gibt es kognitive Irrtümer, die kognitive Irrtümer konterkarieren. Die momentane Überschätzung des eigenen Leistungsstandes am Schalker Markt ist natürlich fatal und mag den Zustrom von Fans und Mitgliedern für einen Moment ausbremsen. Das wird aber hoffentlich eine Episode bleiben, die einen echten Gelsenkirchener in seine „Saudade“ versetzen wird, sein Optimismus ist aber nie aufzuhalten. Siehe dazu auch hier.