Lange reden oder schreiben ist leicht. Kurz & knackig ist schon schwerer. Das hab ich gerade jetzt wieder erfahren, als die „Allianz für die Region“ Braunschweig mich um ein kurzes Statement für die Rubrik „Nachgefragt“ in ihrem Newsletter gebeten hat. Das Rahmenthema: Mut, speziell im Kontext Wirtschaft. Wird es in unsicheren Zeiten riskanter, etwas Neues zu beginnen? Sollte man da besser abraten, die Finger von unsicheren Experimenten weglassen? Immerhin scheitern angeblich selbst am renommierten MIT 80% der Neugründungen (Quelle hier, ich würde die Zahl trotzdem mit Vorsicht genießen. Auf jeden Fall wird die Scheiternsquote hoch sein!). Doch jenseits aller Wahrscheinlichkeit: Wer nichts probiert, kann auch nichts gewinnen. Eine 100%ige Illusion nämlich ist es zu glauben, dass irgendetwas anders wird, wenn man nichts tut. Naja, meistens jedenfalls. So genau kann man es nie wissen!
Hier also das Interview, erstmals erschienen im Newsletter der Allianz für die Region Braunschweig im Dezember 2018. Das gehört natürlich auch hierher.
Was bedeutet Mut für Sie?
Jede Fussballmannschaft auf dem Spielfeld braucht Mut. Denn sie geht das Risiko ein, das Spiel zu verlieren. Trainer und Mannschaft bereiten sich auf die Ungewissheit des Spiels vor, um im richtigen Moment Chancen zu nutzen und Risiken zu vermeiden. Wo immer wir mit Überraschungen rechnen und Entscheidungen treffen, brauchen wir Mut. Es könnte ja was schief gehen. Nichts tun ist auch ein Risiko. Ich stehe daher jeden Morgen mutig auf und unterstütze meine Kunden darin wie im Fußball das Tor zu finden, geeignete Stollen auszuwählen, die richtige Mannschaft aufs Feld zu schicken, … . In den Pausen überlegen wir neu.
Warum fällt es uns heute oft so schwer, mutige Entscheidungen zu treffen?
Wer heute ein Unternehmen gründet, eine Nachfolge antritt oder eine Managemententscheidung trifft muss mit Überraschungen rechnen. Ich nenne das Dynamik. Die hat es natürlich schon immer gegeben, wirklich neu ist ihre Dominanz. Sie entsteht durch die zunehmende Enge der Märkte. Konkurrenz beginnt nicht erst mit einem Produkt, jede Idee wird durch Ideen anderer gestört. Hier helfen weder Prozesse noch sorgfältige Planung. Die einzige Lösung sind Leute, die schneller als andere passende Ideen haben und mutig sind, Neues zu probieren.
Wir sind gewachsen in einer Zeit relativer Stabilität, unsere gewohnten Werkzeuge sind Planen, Strukturieren und Messen. Das sind verlässliche Instrumente in stabilen Umgebungen. Bei Unsicherheit täuschen sie uns allerdings etwas vor. Dort den einzig richtigen, planbaren Weg zu suchen ist wie darauf zu bauen, dass der gerade ins Spiel eingewechselte Joker in der Nachspielzeit das entscheidende Tor schießt.
Wie lässt sich in der Arbeitswelt die Fähigkeit dafür entwickeln, auch unter vermeintlich unsicheren Bedingungen ins kalte Wasser zu springen?
Methodik und Prozesse basieren auf Wissen, wir können sie lernen. Wo wir etwas nicht genau wissen braucht es ein anders Prinzip: Können. In der Kunst, im Sport und auch in der Wirtschaft dominiert heute Dynamik, schnelles Können überholt langsames Wissen. Können kann man nicht lernen, Könner kann kein Management „machen“: sie entwickeln sich nur durch Talent und üben, üben, üben. Finden lassen sich Könner nur durch Beobachten. Dann brauchen sie Raum, um sich zu entwickeln und zu wachsen. Günstig dafür sind z. B. Herausforderungen, echte Debattenkultur, offener Austausch, Diversity, der Mut zum Probieren, Irrtümer als nützliche Lernerlebnisse anzusehen. Es gibt dafür keine allgemein gültigen Rezepte, es ist immer ein wenig anders. Wie man Könner unwirksam macht, ich bin sicher das wissen wir alle.
Welche Rolle spielen Werte (im Arbeitsleben)?
Werte sind Gefühle. Die kommen immer dann ins Spiel, wenn unser Verstand an Grenzen stößt. Für Wissen reicht Verstand, unsichere Rahmenbedingungen brauchen Gefühle. Wo Regeln und Methoden nicht weiterbringen geben Werte und Gefühle Orientierung. Das beste Training für Gefühle sind vielfältige Erfahrungen, Offenheit für neue Sichtweisen, Neugierde, kontroverse Debatten ohne den Anspruch, Recht haben zu wollen.
Wie bekommt man Arbeit und Privatleben am besten unter einen Hut (Work-Life-Balance)?
Für Kopfarbeiter verschwindet die Trennung zwischen Leben und Arbeiten. Verschiedene Lebensbereiche verschmelzen. Selbst Träume können guten Arbeitsergebnissen vorausgehen. Ein gesunder Gleichklang von Leben und Arbeiten ist wichtiger als Balance, die implizit trennt, was in unseren Köpfen zusammenwächst. Harmonie findet jeder nur, wenn er Verantwortung für sich und sein Handeln übernimmt. Selbstverantwortung, um sich vor schädlichen Übergriffen seiner eigenen Ansprüche oder denen ausnutzender Dritter zu schützen. Keiner kann das stellvertretend für uns tun. Das werden wir verstärkt lernen müssen.
AFDR_Newsletter_Dezember2018 – ml über Mut