Zum Nachdenken: Werte und Moral / Loyalität

Portrait von Marlon Brando in der „Der Pate“. Graffiti in Legutio (Álava). https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

 

Für Werte zu sein ist sexy und easy. Wer ist schon für Unmoral? Das Problem dabei wird gerne übersehen: Werte geben im Gegensatz zu Programmen nur äußerst unbestimmte Anhaltspunkte für Entscheidungen. Die bleiben vor allem unklar. Haltungen können nicht verordnet werden. Trotz aller boomenden Kulturprogramme, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte zu allem Möglichen verpflichtet werden. Moral wird schnell zur Heuchelei, wenn aufgehübschte Darstellungen mit der Realität und dem Denken in Konflikt geraten. Es mag Gründe für das Aufhübschen von Fassaden geben, nur sollte diese Vorderbühne nicht mit der Realität verwechselt werden. Schon gar nicht sollte man Loyalität ihr gegenüber verlangen. Loyalität und Vertrauen sind die eine Seite einer Medaille, auf der Rückseite stehen Illoyalität und Misstrauen. Natürlich brauchen wir Vertrauen und Loyalität, wir testen beides laufend. Blöd nur, dass diese Tests den Getesteten als Misstrauen und Illoyalität erscheinen. Aus dieser kommunikativen Falle kommst Du nicht raus. Menschen reagieren nun mal menschlich. Organisationen müssen diese eigenwilligen Individuen in ihren Entscheidungsbetrieb integrieren, es dient dem organisationalen Funktionserfordernis und der Stabilität. Doch es lässt sich nicht in Regeln gießen, es bleibt menschlich. Du kannst Dich nicht darauf verlassen.

Eine meiner Lieblingsfragen in Interviews ist: Wo hast Du im letzten Jahr Deine Meinung geändert? Was siehst Du heute fundamental anders? Was ist neu in Deinem Denken, was hast Du dazugelernt? Ich frage mich das auch regelmäßig selbst. Ich oute mich hier: Loyalität sehe ich heute mit ganz anderen Augen als zum Beispiel noch vor einem Jahr. Anlass für meine neue Sichtweise auf „Loyalität“ ist ein Vortrag in einer Runde von Führungskräften, die sich inspirieren lassen wollten. Da konnte ich mich in meiner Rolle als „konstruktver Irritierer“  (siehe auch hier) nicht lumpen lassen. Auch vor meinem eigenen Selbstbild nicht.

Loyalität ist im Allgemeinen ein positiver Begriff. Loyal zu sein gilt als moralisch gut: Sie ist eine Tugend. Man muss zueinanderhalten. Für seine Freunde steht man ein. Loyalität ist ein Wert an sich: Er muss nicht gelernt oder anerzogen werden. Er kommt einfach mit uns auf die Welt, es ist ist eine Form der Treue zu anderen. Schließlich bekommen wir auch etwas dafür: Ich halte zu meiner Familie, weil meine Familie zu mir hält. Wir gehen zusammen durch dick und dünn, meistens jedenfalls. Loyalität ist das starke und warme Band der Zugehörigkeit mit Verpflichtungscharakter in beide Richtungen. Wer sein Gebot verletzt wird geächtet, ist ein schwarzes Schaf oder gar ein Verräter. Loyalität ist eine Pflicht, die sehr weit geht. Wir erinnern uns an den Marlon Brando in seiner Rolle als „Der Pate“: Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich Dich bitten, mir einen kleinen Gefallen zu erweisen. Aber solange ich das nicht tue, soll dies … ein Geschenk sein ….. “  Damit sind die Machtverhältnisse und Abhängigkeiten geklärt. Mafia – Gepflogenheiten nicht ausgeschlossen.

Doch Loyalität ist toxisch. So schön und moralisch wertvoll der Begriff auch auch klingt, er ist ein trojanisches Tugendpferd, das unseren moralischen Kompass fast unbemerkt, dafür aber um so massiver beeinflusst. Loyalität trübt das Urteilsvermögen, schafft Konformitätsdruck, zensiert, unterdrückt kritisches Denken, macht opportunistisch. Loyalität ist unverschuldete Unmündigkeit, um sich Zugehörigkeit zu erkaufen. Teilhabe ist stets mit einem Versprechen verknüpft. Verbündete werden bevorzugt behandelt und schon geben wir Fairness, Objektivität und gerechtes Handeln auf.

Loyalität ist allgegenwärtig. Geschlecht, Herkunft, Milieu, Ethnie, Automarke, Radfahrer, Fußgänger, der Lieblingsfußballverein, gleiche Uni oder Haarfarbe (sogar gefärbt!) und schon ist der Loyalitätsreflex da. „Wir aussem Pott halten zusammen. 1.000 Freunde, die zusammen stehn!“ Dieser simple Freund-Feind-Dualismus sollte uns stutzig machen. Wer loyal ist, läuft Gefahr ausgenutzt zu werden. Besonders destruktiv wirken soziale Netzwerke, in denen Empörungskaskaden und unreflektierte Solidaritätsbekunungen zum Alltag gehören. Ihr Charme: sie verpflichten zu nichts, sie benötigen außer einem „Click“ kein eigenes Handeln. Politische Ideologien fordern blinde Loyalität, in allen Machtapparaten ist sie oberstes Gebot. Whistleblower? Heroisch sind sie zwar, doch letztlich allesamt Denunzianten und Verräter. Ein englisches Sprichwort fasst zusammen: „When an organization wants you to do right, it asks for your integrity; when it wants you to do wrong, it demands your loyalty.“

Was ist eigentlich das Gegenteil von Loyalität? Illoyalität? Ich finde das passt nicht, es ist mir zu aufrührerisch, negativ, verwerflich. Dazu sind all diese Begriffe vernebelt und aufgeladen, moralisch verklärt. Wie wäre es stattdessen mit Loyalität nur sich selbst gegenüber? Oder Souveränität, Mündigkeit, Integrität? Das Wissen um die gefährliche Verführbarkeit falscher Loyalität legt den Grundsatz nahe, Gedankenfreiheit und Unabhängigkeit zum Leitprinzip zu erheben. Der Schriftsteller Graham Green hat anläßlich einer Preisverleihung das Grundprinzip empfohlen: Nimm im Zweifel die Position des Advocatus Diaboli ein! Bleibe unberechenbar! Insistiere auf das Recht der Gegenposition! Werde ein Protestant in einer katholischen Umgebung, ein Katholik in einer protestantischen Welt, und sei ein Kommunist in einem kapitalistischen Staat! Sei jederzeit bereit, die Seiten zu wechseln.

Loyalität wird so zu einer freien Entscheidung und nicht zum Abonnement. Es ist eine Haltung der distanzierten Ironie, die mehr vermittelnd als polarisierend wirkt. Sie ist ein Auftrag zu amoralischer Ungebundenheit und Freiheit, die wirklich nur dem eigenen Gewissen verantwortlich ist. Institutionalisiert für Organisationen ist die Förderung von Diversität und Widersprüchlichkeit oberstes Gebot, das schlechte Gewissen der Illoyalität wird ersetzt durch das gute Gewissen des eigenen unabhängigen Weges, Fremdbestimmtheit wird zur Selbstbestimmung.

Gegen die Droge Loyalität helfen nur kritisches Bewusstsein und kritisches Denken. Stellen wir uns doch der Erkenntnis, dass die Sucht nach Harmonie, Sicherheit und Zugehörigkeit immer einen Preis hat. Ich jedenfalls bin nicht bereit, mir meine Unabhängigkeit durch widerspruchslose Konformität zu abkaufen zu lassen, möchte Herr meiner freien Entscheidungen sein. Die sind vielleicht oft loyal, aber als Ergebnis meiner freien Entscheidung.

 

 

 

 

 

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