Zwischen Ordnung und Chaos

Quelle: gapingvoid.com

 

Das eine ist die perfekte Begründung für das andere. Alles in Ordnung bringen, damit wir nicht im Chaos versinken. Alles in seinen Rahmen, klare Regeln, keine Überraschungen, jeder Ursache ihre Wirkung. Ordnung ist gut gegen Chaos. Wer will schon etwas dem Zufall zu überlassen? Regeln regieren die Ordnung, nur der Zufall bestimmt im Chaos. Wo kämen wir denn da hin? Wer will das denn schon?

Doch es gibt sie, die dritte Dimension neben Ordnung und Chaos: die Komplexität. Ursache und Wirkung gibt es nicht, Muster schon, Zusammenhänge (Kohärenz); die sind aber nicht kausal, nicht wiederholbar, unbestimmt, flexibel. Einen beliebigen Zustand gibt es genau so kein zweites Mal, nichts ist hinterher so wie vorher. Ein komplexes System ist nicht beherrschbar, aber tanzen kannst Du mit ihm schon. Probieren ist gut, am besten einiges gleichzeitig, fehlertolerant, aber nicht idiotensicher! Schnell lernen, was gut läuft verstärken, was nicht gut läuft einstellen, unerwünschte Folgen abmildern. Erfolg wird nicht garantiert, wohl aber Einsicht und besseres Verständnis in Grenzen und Möglichkeiten.

Kennen Sie den Unterschied zwischen kompliziert und komplex? Diese Frage stelle ich gerne in Vorträgen, Workshops und anderen Dialogen. Die meisten kennen ihn nicht, im allgemeinen Sprachgebrauch verschwimmen diese Begriffe völlig in einem Begriffsbrei, der Klarsicht auf einen grundlegenden Wechsel im Denken von Management, Führung, Organisation usw. vernebelt. Kompliziertheit hat eine Ordnung, auch wenn die nicht offensichtlich und möglicherweise nur für fachkundige Experten sichtbar ist. Kompliziertem kann man auf den Grund gehen und zeigen, dass etwas geht. Immer wieder, wiederholbar unter gleichen Bedingungen. Haben Sie eine komplizierte Aufgabe? Dann macht es Sinn zu analysieren, Wissen einzuholen, Experten zu Rate zu ziehen, nach der richtigen Lösung zu suchen. Zeit und Aufwand dafür ist gut investiert, denn Sie suchen etwas und können hoffentlich ergründen, was es wirklich gibt: den kausalen Zusammenhang, die Ordnung eben. Richtig oder falsch, geht oder geht nicht sind in diesem Kontext relevante Kategorien.

Das gleiche Vorgehen bei komplexen Fragen ist hingegen reine Zeitverschwendung. Komplexität kennt keine Kausalität. Warum sollten sie die richtige Lösung und den richtigen Weg lange suchen, wenn es ihn nicht wirklich gibt? Probieren geht über Studieren! Viel besser: Machen Sie eine Liste vermuteter Zusammenhänge für ihr Thema und definieren Sie dazu einige Experimente. Die müssen untereinander nicht einmal stimmig sein, die Zusammenhänge sind ja nur Vermutungen. Stellen sie begründete Arbeitshypothesen auf, definieren sie früh erkennbare Indikatoren, die eine Kohärenz bestätigen oder als eher unwahrscheinlich aussehen lassen. Denken Sie ein paar Handlungsoptionen für günstige und kritische Ereignismöglichkeiten vor. Und dann vor allem: Probieren und lernen Sie. In kurzen Iterationen bitte! Es dürfen 7 Probierfelder gleichzeitig sein (Faustformel!). Mit diesem Vorgehen kommen sie in komplexen Umfeldern besser und schneller voran, als durch die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, die gar nicht vorhanden ist. Probieren macht Komplexität einfach. Es braucht nur die Aufgabe unseres Anspruchs auf Beherrschbarkeit. Dafür werden wir mit jedem Versuch schlauer, wir lernen das evolutionäre Potential jedes Augenblicks kennen und schätzen.

Dazu brauchen wir Könner! Die verfügen über Wissen und Talent, mit Überraschungen umgehen zu können. Könner wenden ihr Wissen auf bisher Unbekanntes an, verlieren in Krisen und Unwägbarkeiten nicht gleich den Kopf. Eine Suppe nach Rezept kann jeder mit dem Rezept und den nötigen Zutaten; ein perfektes Menü aus dem, was ein normaler Kühlschrank zufällig beinhaltet, braucht den talentierten Könner. Ein Rezept kann kompliziert sein, ein aus zufälligen Kühlschrankfunden komponiertes Menü ist komplex.

Doch wie kann ich a priori erkennen, ob etwas kompliziert oder komplex ist? Wie kann ich wissen, ob analysieren oder probieren die überlegene Strategie für mein Problem ist? Indem wir darüber nachdenken, ob wir es eher mit einer komplizierten oder komplexen Fragestellung zu tun haben. Und indem wir Irrtümer für möglich halten. Bleiben wir also also misstrauisch.

Eine Faustregel gibt es allerdings schon. Wo Menschen eine Rolle spielen, kommt immer etwas nach. Dann ist es komplex.

Quelle: NewYorker Cartoon

Quelle: NewYorker

 

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