Anleitung zur Landpomeranze

Mann mit Sti(h)l

 

Ich lebe seit ungefähr einem Jahr auf dem Lande. Leben dort ist für einen Städter wie mich umgewöhnungsbedürftig. Wenn ich ankündige, in die Stadt fahren zu wollen, folgt prompt die Korrektur: „Ins Dorf!!!“

Damit nicht genug: Zu den nächsten Lektionen gehört: Solaranlage und Wärmepumpe werden nicht nach Preis-Leistungsvergleich beim vorteilhaftesten Anbieter gekauft, sondern beim Nachbarn drei Häuser weiter. Meine neueste Erkenntnis: eine zuverlässige Motorsäge ist mehr als ein Werkzeug – sie ist ein Charaktertest.

Es hat Beobachtung und Einweisung gebraucht, doch jetzt ist es endlich so weit: Meine springt an. Immer. Und ich meine nicht: nach dem dritten Fluchen“. Nein, Primer drücken, Seil ziehen, brrrrrrr – sie läuft. Das ist eine Form von Zusammenarbeit, die ihresgleichen sucht. Keine langen Meetings, keine versteckten Agenden, keine Retro, bei der alle hoffen, dass sie bald vorbei ist. Nur ein Ziel: sägen!

Nun hat die Motorsäge als solche in letzter Zeit traurige Berühmtheit erlangt. Irgendwo zwischen Präsidenten mit egozentrisch – clownesker Machtsymbolik und Beratern mit zu viel Testosteron scheint das Ding medial Karriere zu machen – in der Hand von Männern, die mit der Säge lieber Symbolpolitik betreiben wollen als Holz zu zerkleinern. Da wird das Sägen plötzlich zur politischen Botschaft: „Wir räumen auf!“ „Wir schaffen Platz!“ „Wir sägen alte Zöpfe ab!“ – alles schön martialisch und vor allem maximal dämlich. Nix für mich.

Meine Motorsäge hingegen hat noch nie einem Symbol geschadet. Sie arbeitet. Punkt. Und manchmal, wenn ich mit ihr ein zugewachsenes Gartenstück freilege, wortwörtlich, nicht metaphorisch – dann denke ich: So fühlt sich Zusammenarbeit an, wenn sie gelingt. Es ist laut, es stinkt ein bisschen, man schwitzt, aber am Ende sieht man, was man geschafft hat. Und keiner muss sich vorher gegenseitig die Kompetenz absprechen, eine Power Point ansehen oder ein Whiteboard bekritzeln.

Was wir in Teams oft als „Zusammenarbeitsverbesserung“ titulieren, ist in Wahrheit meist eine endlose Folge von Reparaturversuchen an Systemen, die nie für echte Kooperation gebaut wurden. Da hilft auch keine Fortbildung im „aktiven Zuhören“. Manchmal muss man einfach – wie hier auf dem Land – die Hecke wirklich schneiden, nicht nur darüber reden, wie man sie theoretisch angehen könnte, wenn das Budget da wäre und sich alle abgeholt fühlen. Alle haben hier eine Motorsäge, das gehört einfach dazu. Ich jetzt auch.

Vielleicht brauchen wir mehr Motorsägen-Mentalität: Klare Absicht, ehrliches Werkzeug, und ein bisschen Mut zur Unordnung. Und weniger Präsidenten-Pathos mit Presseterminen, theatralischen Auftritten und hohlen Botschaften. Meine Motorsäge will nämlich nur eines: arbeiten. Und dafür liebe ich sie. Und man sieht unmittelbar die Ergebnisse seiner Arbeit. Ob Einstein das wirklich gesagt hat? Keine Ahnung. Falls ja: er war ein kluger Mann, der wusste, woran er sägt.

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fdh
fdh
1 Monat zuvor

Ja, ja mein lieber Martin, das Thema mit den Motorsägen kenne ich seit Jahrzehnten!
Habe sie natürlich nie zu den von Dir beschriebenen Dingen benötigt, sondern immer nur zu Zecken am Haus oder im Wald.
Gehöre schließlich nicht zu den Deppen, die mittlerweile sogar Länder regieren dürfen, sehr zum Schaden dieser Länder . . . .

Elke
Elke
29 Tage zuvor

Und die Säge hat auch noch den richtigen Hersteller, alles andere zählt hier bei uns im Münsterland nur als Spielzeug 😉
Aber sehr schön geschrieben, mein Lieber!

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[…] Dies ist nun der zweite Beitrag der „Landpomeranze“. Das Feedback nach dem ersten Blog war so, dass ich daraus ab sofort eine eigene Rubrik machen muss. Ich werde also weiter über das […]

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