Haste mal n Seminar für mich?

Jacques Louis David: Der Tod des Sokrates

 

Stellen wir uns das mal einen kleinen Moment vor. Wir sitzen auf der Startbahn eines Flughafens. Natürlich in einem Flugzeug, einem gut ausgebuchten Großraumflieger. Der Pilot ist durch ein Assessment ausgewählt worden, in dem er sich einer Potentialbewertung stellen musste. Man hat auch was gefunden, Potential meine ich. Die Abweichungen vom Pilot-Idealprofil wurde durch eine genderifizierte Kommission bewertet und dem Seminaranbieter des Vertrauens der Auftrag erteilt, Skills zu trainieren und Kompetenzen auszubauen, den Piloten zu befähigen uns sicher an das Reiseziel zu bringen.

Einfach zu blöd, denken wir. Totaler Quatsch! Völlig irreal! Na klar, das ist es. Jedenfalls würde unter solchen Umständen niemand von uns ein Flugzeug betreten.

Bevor ich zum Eigentlichen komme, möchte ich die Flugzeugmetapher um ein Erlebnis ergänzen. Ein Freud von mir hatte das seltene Vergnügen, so einen echten Flugsimulator bei einer großen Fluggesellschaft erleben zu dürfen. Er durfte sogar fliegen, hat er stolz erzählt. Eine halbe Stunde hat es gedauert einen Jumbo fliegen zu lernen. Da ist so viel automatisiert, die paar Handgriffe waren schnell abgeguckt. Der Haken: Diese halbe Stunde reicht nur für Schönwetterflüge ohne Überraschungen. Unvorhergesehenes lässt unseren Halbstundenpiloten das Flugzeug in wenigen Sekunden zum Absturz bringen. Da ist er wieder, dieser Unterschied zwischen Wissen und Können. Das eine kann ich lernen, ist wiederholbar, es gibt klare eindeutige Regeln. Für das andere brauche ich Ideen, gute bekommt man nur mit Talent, einer gesunden Portion Theorie zum Verständnis relevanter Zusammenhänge und vor allem durch Üben, Üben, Üben. So kann man auch für Ungeübtes auf nützliche Ideen kommen statt hilflos nach unbekannten Regeln oder der passenden Arbeitsanweisung zu suchen.

Folgendes Szenario führt mich zu diesen Gedanken: Krise eines Unternehmens (Kunde), Geschäftsführerwechsel, Beirat fordert Managementbewertung, Potentialanalyse und Qualifizierungsprogramm. Dekonstruieren wir dieses Schema bleibt der Glaubenssatz: Das Problem der Krisenbewältigung liegt vor allem in den Wissensdefiziten unserer Führungskräfte. „Sie können uns doch bestimmt geeignete Seminare und Trainings anbieten, um das in den Griff zu bekommen!“

Wir haben ein Problem mit unserer Bildung an Schulen, Hochschulen und mit dem, was meist fälschlicherweise „betriebliche Weiterbildung“ heißt. Immer geht es um Wissensweitergabe. Dabei ist etwas anderes viel wichtiger: Wie lassen wir Fähigkeiten reifen, mit denen Probleme selbstorganisiert und kreativ gelöst werden können? Führungskompetenz ist die Fähigkeit, in kritischen Situationen vorausschauend, kreativ und selbstorganisiert zu handeln. Diese Kompetenz ist Teil der Persönlichkeit, keine Eigenschaft, die gemessen oder durch Austausch von Wissen erlernt werden kann. Hört sich trivial an, wird aber häufig ignoriert und ist entscheidend: Handeln können wir nur handelnd erkennen. Wer die Straßenverkehrsordnung auswendig gelernt hat, ist noch lange kein guter Verkehrsteilnehmer. In „Systemsprech“ bedeutet Lernen „in Resonanz mit einem Problem zu treten“. Das geht nicht ohne emotionale Beteiligung, das muss mit allen Sinnen erlebt werden: der äußere Druck, der nach Lösung drängt, der innere Antrieb eine Idee zu finden, Enttäuschung bei Irrtümern, der Drang nicht locker zu lassen, Begeisterung und Anerkennung, einen Weg  gefunden zu haben.

Personaler und Führungskräfte sollten aufhören, Mitarbeiter in Seminare zu schicken. Initiative müsste schon von den Mitarbeitern selbst ausgehen. Sie sollten Gelegenheit haben, dann zu lernen, wenn sie Bedarf verspüren. Sie sollten eigene Probleme aus der Praxis in eine Lerngemeinschaft einbringen. Die müssen drängend sein, nach einer Lösung schreien. Es mögen seminaristische Elemente (Wissensduschen, Lernsnacks, …) im Lernprozess enthalten sein, sie dürfen aber nicht dominieren. Das Wichtigste: Wir finden Lösungen für unser Problem und bringen etwas zum Gelingen. Ganz real. Lernen und Arbeiten gehören zusammen, handelnd. Darauf kommt es an.

Weiterbildung in Seminaren oder ähnlichen Formen wird zwar gerne verkauft, ist aber in dynamischer komplexer Umgebung völlig ungeeignet, die Wertschöpfung nach vorne zu bringen. Was zählt ist Handeln! Inspiration, Übung, Anschub und Evaluation in Form von Coaching, Mentoring o. ä. können nützliche Begleiter sein.

Dies verstanden, gibt es reichlich Ideen und Möglichkeiten, Teams zu unterstützen. Am Besten einerseits durch den verstärkten Nachdruck externer Referenzen – das ist, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst, wenn ein Problem nach einer Idee zur Lösung schreit. Extern, weil das Schreien vom Markt Ideen finden hilft, das Schreien des Chefs als interne Referenz Lösungen meist demoralisierend verhindert. Andererseits ist Nestwärme bedeutsam: Nichts klappt auf Anhieb, für zerzauste Federn nach einem nützlichen Irrtum ist die Behaglichkeit eines Mutmacher-Pflasters und die salbende Sicherheit eines guten Teams von großem Nutzen, bevor es wieder in den Wind geht.

So empfehle ich das. Und mach auf diese Weise gerne mit Erfahrung, Begeisterung, anderen Sichtweisen konstruktiv irritierend mit. Und es klappt! Bisher haben wir noch immer eine bisher unbekannte Tür gefunden …

 

 

 

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