Wenn es ernst wird, brauchst Du Humor!

Ich vermute, dass meine Eltern irgendwo in den Weiten des Himmels jetzt gerade ganz laut lachen und sich freuen, dass ich es endlich verstanden habe. So wirklich verstanden. Kann sein, dass sie das ganz anders gemeint haben, als ich es jetzt verstehe. Aber dann wissen wir es jetzt alle, und das ist gut so. Ich habe viele Verbindungen zwischen Ernst und Humor kennen gelernt. Besonders erinnere ich mich an das Spiel: Wer zuerst lacht, der hat verloren. Wenn zwei Personen sich mit gespielter Ernsthaftigkeit tief in die Augen sehen, ist diese nur von kurzer Dauer. Erst fängt der eine an zu grinsen und bald darauf lachen beide aus vollem Herzen. Selbstverständlich gibt es wirklich ernste Lebenssituationen. Im Nachhinein kann ich schon sagen: Je ernster man eine ernste Lage betrachtet, um so auswegloser wird sie. Humor an und für sich ist natürlich nicht die Lösung ernster Themen. Er ist auch kein Mittel zur Selbsttäuschung oder coole Attitüde gegenüber einem übermächtigen Gegner. Nein, es ist viel mehr als das. Ganz im Ernst!

Als Krisen noch selten waren gehörten Spiele zum festen Repertoire guter Beratung, um den Ernstfall zu üben. Wir haben Menschen mit Verantwortung spielerisch in Krisensituationen gebracht, um ihre Sensibilität gegenüber besonderen Eigenarten von Situationen zu schärfen. Gute Coaches hatten beim Einsatz von Spielen nie im Sinn, einen speziellen Denkstil zu fördern wie „vernetztes Denken“ oder „systemisches Denken“. Es gibt sie nicht, die eine isolierte Fähigkeit, die den richtigen Weg weist. Es ist ein Bündel von Fähigkeiten, der gesunde Menschenverstand oder die vielfältige Lebenserfahrung, die dazu befähigen, sein Denken auf die Umstände einer Situation einzustellen. Die Umstände sind immer verschieden, context matters, das habe ich hier schon oft gesagt. Als ernsthafte Krisen noch die Ausnahme waren, waren Simulationen und Spiele gute Vorbereitung auf den Ernstfall, damit man überhaupt erfahren konnte, dass andere als die alltäglich normalen Situationen existieren. Man konnte sogar über das eigene Verhalten und eingeschlagene Wege diskutieren, in der Realität völlig ausgeschlossen. Spielen, um auf den Ernstfall vorzubereiten, das war die Idee. Daher kommt die frivole Aufforderung: Wer Spiel nur als Spiel betrachtet und Ernst nur als Ernst, hat beides nicht verstanden.

Ich mag diese Aufforderung noch immer, allerdings in einem erweiterten Bedeutungszusammenhang. Krisen sind nicht mehr Ausnahme. Die Abkehr von den gestrigen Selbstverständlichkeiten wird alltäglicher und zeigt sich in zunehmender Häufigkeit und Bedeutung von Lebenskrisen, Wirtschaftskrisen, Klimakrisen, Pandemien und anderen großen oder kleinen, überlebensbedrohenden oder scheinbar kleinen Herausforderungen des Alltags. Was nicht mehr funktioniert: Aus vorhandenem Wissen die richtige Lösung wie aus einem Handbuch heraussuchen. Wir brauchen neues Wissen, weil die Herausforderungen neu sind. Das kann man niemandem vorwerfen, das ist halt so. Wer plötzlich und unbedingt dieses neue, noch nicht vorhandene Wissen braucht, dem hört der Spaß des „Spiels“ schlagartig auf, wenn Argumente und Gefühle miteinander vermengt werden. Argumente können richtig oder falsch sein, Gefühle sind immer richtig! Subjektiv, versteht sich. Wir unterscheiden meist nicht zwischen Argumenten und Gefühlen, in „normalen Zeiten“ haben wir diese Unterscheidung nur selten gebraucht.

Wo Wissen fehlt haben wir zwei Optionen: Neues Wissen generieren oder Gefühle benutzen. Der erste Weg ist sehr mühsam verbunden mit Frust und Ärger. Neues Wissen entsteht vor allem durch Irrtum. Gefühle hingegen hat jeder, sie stellen sich unmittelbar und ungefragt ein. Sie entstehen bei Genialität so wie bei dem größten Blödsinn, sie geben keine Indikation ob es sich um das eine oder das andere handelt. Gefühle sind Ausdruck persönlicher Befindlichkeit. Demokratische Prozesse erzeugen keine gemeinsamen Gefühle, über Argumente könnte man schon ein Meinungsbild herstellen. Ich ziehe hier nicht gegen Gefühle zu Felde, im Gegenteil. Ich plädiere für die strenge Unterscheidung zwischen Gefühlen und Argumenten. Wenn ein Politiker (oder jemand anders) sagt, er sei der tiefen Überzeugung dass …… , dann sollten wir wissen: Es handelt sich hier nicht um ein Argument oder eine wissenschaftsbejahende Herangehensweise.

Die höchste Form der Ernsthaftigkeit liegt in der Fähigkeit wechseln zu können zwischen „ich nehme mich selbst ernst“ und „ich kann über meinen Irrtum lachen“. Auf unbekanntem Terrain führen nur Gefühle zu neuen Erkenntnissen. Talente oder Könner zeichnen sich dadurch aus, dass sie „problemlösende Gefühle“ entwickeln. Die sind für andere erkennbar, weil könnende Talente sich seltener irren als andere Personen. Man selbst kann sie bei sich erkennen, wenn eben diese Gefühle so stark sind, dass man bereit ist, einen Irrtum zu riskieren, den Mut zu einer riskanten Entscheidung aufzubringen. Denn im Falle eines Scheitern gibt es wieder nur zwei Optionen: Rückzug, sowas mach ich nie wieder! Oder: Shit happens, auf zum nächsten Mal, Attacke! Dazu braucht man Humor, anderes wäre dogmatisch und fortschrittsfeindlich. Nur wer schon alles weiß oder über genügend Macht verfügt braucht keinen Humor. Man sollte sich seine eigenen Irrtümer schon verzeihen können, wer soll es sonst tun?

Lebenserfahrung ist so verstanden nichts anderes als die Destillation von Gefühlen zu Wissen mit dem Mittel des Irrtums. Dazu die Selbsterfahrung eine Ahnung zu entwickeln, welchen eigenen Gefühlen ich vertraue und welche ich besser ignorieren sollte. Blöd ist nur: Man kann es nicht weitergeben oder erklären, nicht einmal sich selbst.

 

 

Die Rubrik „Merksätze“ habe ich begonnen, um einfache Dinge des Lebens auf den Punkt zu bringen. Denn für eine gute Suppe, Projekte, ein Unternehmen, eine Revolution und das Leben braucht es Merksätze, die jeder, wirklich jeder versteht. Für den Start dieser Rubrik und seine Hintergründe siehe hier.

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[…] Worte und Erkenntnis fehlen gedeihen Moral (siehe hier) und Angst. Angst wird zum Supersystem einer unübersichtlichen Gesellschaft, das nicht reguliert, […]

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